Qual (German Edition)
Vier Zwanziger. Zwei Fünfer. Ein paar Einer.
»Ich kann’s gar nicht zusammenrechnen«, flüsterte er. »Wie viel?«
So etwas wie ehrfürchtiger Triumph schlich sich in Johns lauter werdende Stimme, doch niemand achtete auf ihn. Das Monster war gerade hinter einem Mädchen in braunen Shorts her, und das Publikum kreischte vergnügt. »Zweihundertachtundvierzig Mäuse!«
»Mein Gott«, sagte Blaze. »Hast du immer noch den Riss im Futter von deiner Jacke?«
»Ja klar. Und?«
»Steck’s da rein. Falls die uns beim Rausgehen filzen.«
Aber niemand durchsuchte sie. Und Johns Scheißerei war auch kuriert. So viel Geld zu finden schien der Scheiße ordentlich Angst eingejagt zu haben.
Am Montagmorgen kaufte John einen Portland Press Herald von Stevie Ross, der Zeitungen austrug. Er und Blaze verschwanden hinter den Werkzeugschuppen, wo sie die Zeitung bei den Kleinanzeigen aufschlugen. John sagte, da müsste man suchen. Die Gesucht-und-Gefunden-Anzeigen befanden sich auf Seite 38. Und da, zwischen einem GESUCHTen Pudel und einem GEFUNDENen Paar Damenhandschuhen, stand dies:
GESUCHT Lederne Herren-Geldbörse
mit den eingeprägten Initialen RKF
neben dem Foto-Fach.
Der ehrliche Finder wird gebeten,
555-0928 anzurufen oder sich unter
Chiffre 595 bei dieser Zeitung zu melden.
FINDERLOHN!
»Finderlohn!«, rief Blaze aus und schlug John auf die Schulter.
»Ja«, sagte John. Er rieb die Stelle, auf die Blaze ihn geschlagen hatte. »Wir rufen den Kerl also an, und er gibt uns dann zehn Mäuse und tätschelt uns den Kopf, ja? Toll. RSD.« Das stand für rattenscharfes Ding.
»Oh.« Das Wort FINDERLOHN hatte in fünfzig Zentimeter großen goldenen Lettern vor seinem geistigen Auge gestanden. Und jetzt zerbröselten diese Buchstaben zu einem Haufen Schutt. »Und was sollen wir dann damit anfangen?«
Es war das erste Mal, dass er bei Johnny so etwas wie Führung suchte. Die zweihundertachtundvierzig Mäuse waren eine verwirrende Angelegenheit. Wenn man fünfundzwanzig Cents hatte, kaufte man sich eine Coke. Mit zwei Dollar kam man ins Kino. Mit noch ein bisschen mehr, vermutete Blaze, konnte man mit dem Bus bis nach Portland fahren und dort ins Kino gehen. Aber bei einer Summe dieser Größenordnung half ihm seine Fantasie nicht weiter. Da fiel ihm nur Kleidung ein. Und Kleidung interessierte Blaze nicht.
»Lass uns abhauen«, sagte John. Sein schmales Gesicht leuchtete vor Aufregung.
Blaze dachte nach. »Du meinst so … für immer?«
»Nee, nur bis die Kohle alle ist. Wir gehen nach Boston, essen in tollen Restaurants statt bei Mickey D., nehmen uns ein Hotelzimmer, sehen uns ein Spiel der Red Sox an und … und …«
Aber weiter kam er nicht. Die Freude überwältigte ihn. Er stürzte sich auf Blaze, lachte und hämmerte auf seinen Rücken. Der Körper unter seiner Kleidung war schlank, leicht
und fest. Sein Gesicht brannte an Blazes Wange, heiß wie ein Heizungskessel.
»Okay«, sagte Blaze. »Das wär’ bestimmt ein Mordsspaß.« Er dachte darüber nach. »Mein Gott, Johnny, Boston? Boston! «
»Der absolute Hammer, oder?«
Sie begannen zu lachen. Blaze trug Johnny einmal um den Werkzeugschuppen herum, wobei sie lachten und sich gegenseitig auf den Rücken schlugen. Schließlich unterbrach John ihn.
»Irgendwer wird uns hören, Blaze. Oder sehen. Setz mich lieber ab.«
Blaze sammelte die Zeitung wieder ein, deren Seiten inzwischen begonnen hatten, über den Hof zu flattern. Er faltete sie zusammen und stopfte sie tief in seine Gesäßtasche. »Gehen wir jetzt, Johnny?«
»Erst mal noch nicht. Vielleicht die nächsten drei Tage noch nicht. Wir müssen einen Plan machen, und wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir das nicht sind, erwischen sie uns, bevor wir zwanzig Meilen weit gekommen sind. Und bringen uns zurück. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja, aber Plänemachen ist nicht gerade meine Stärke, Johnny.«
»Ist schon okay, ich hab mir das meiste sowieso schon überlegt. Vor allen Dingen kommt es darauf an, dass sie denken, wir wären einfach nur weggelaufen, denn genau das machen Kids, wenn sie den Scheißladen hier verlassen, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Nur, wir haben Geld, stimmt’s?«
»Stimmt!«
Wieder wurde Blaze überwältigt davon, wie ausgesprochen herrlich das war, und er hämmerte Johnny auf den Rücken, bis er ihn beinahe aus den Latschen gehauen hätte.
Sie warteten bis zum folgenden Mittwochabend. In der Zwischenzeit rief John das Greyhound-Terminal in Portland an und fand
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