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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Networks die nötige Reife erreicht hatten. Die wacklige Konstruktion aus inkompatiblen Standards, ineffizienter Hardware und archaischen Betriebssystemen, die zur Jahrhundertwende von den Dinosauriern der Computerkommunikation zusammengebastelt worden war, hatte man in den Zwanzigern dem Erdboden gleichgemacht. Erst dann – nach den Jahren voreiliger Begeisterung und dem Spott und Hohn über die selbstverschuldeten Rückschläge – erst danach konnte die Verwendung des Nets zur Unterhaltung und Telearbeit von einer Art psychischer Folter in eine natürliche und bequeme Alternative zu neunzig Prozent des körperlichen Verkehrsaufkommens verwandelt werden.
    Wir traten auf die George Street. Sie war zwar nicht menschenleer, aber ich hatte Aufnahmen aus Zeiten gesehen, als die Bevölkerung dieses Landes nur halbso groß gewesen war – und dagegen nahmen sich die Passantenströme mickrig aus. Gina blickte auf, und die Lichter spiegelten sich in ihren Augen. Viele der alten Bürotürme waren immer noch beeindruckend, nachdem man die Fenster für die Touristen mit billigen Sonnenlichtspeichern überzogen hatte. Sie als ›Ruinen‹ zu bezeichnen, war natürlich ein Witz, denn Vandalismus oder auch nur der Zahn der Zeit hatten kaum Spuren an ihnen hinterlassen. Trotzdem war hier jeder von uns ein Tourist, der die Monumente der Vergangenheit bestaunte – die uns nicht unsere fernenVorfahren, sondern unsere älteren Geschwister hinterlassen hatten.
    Nur wenige Gebäude wurden als Wohnraum genutzt, denn die Architektur hatte sich nie richtig mit den wirtschaftlichen Anforderungen vertragen. Außerdem setzten sich mehrere Gruppen von Aktivisten dafür ein, das urbane Ambiente zu erhalten.Natürlich gab es illegale Hausbesetzer, schätzungsweise ein paar Tausend, die sich über das Wirtschafts-Zentrum verteilten, wie es immer noch genannt wurde, doch letztlich verstärkten sie nur die herrschende post-apokalyptische Stimmung. Und draußen in den Vorstädten gab es immer noch Live-Aufführungen von Musik- und Theatergruppen, die kleine Stücke auf kleinen Bühnen inszenierten, oder von Kolossalbands, die die Massen in Sportstadien lockten. Die große Theaterkultur fand jedoch als Echtheit-Übertragung in den Networks statt. (Nach den aktuellen Vorhersagen sollte das Opernhaus, das auf morschen Fundamenten stand, im Jahr 2065 in den Hafen von Sydney rutschen – eine reizende Aussicht, obwohl vermutlich irgendeine Gruppe nostalgischer Spielverderber das nötige Geld zusammenkratzen würde, um das nutzlose Symbol im letzten Augen-Mick zu retten.) Der Einzelhandel mit Laufkundschaft hatte sich schon seit längerer Zeit vollständig in die regionalen Zentren zurückgezogen. Am Stadtrand existierten noch ein paar Hotels, doch im toten Herzen der Metropole hatten einzig Restaurants und Nachtclubs überlebt, die sich zwischen den leeren Türmen verteilten – wie Souvenirshops zwischen den Grabmonumenten im Tal der Könige.
    Wir gingen nach Süden in den Stadtteil, der früher einmal Chinatown gewesen war. Die zerbröckelnden Schmuckfassaden verlassener Kaufhäuser legten immer noch Zeugnis davon ab, auch wenn die Cuisine es nicht mehr tat.
    Gina stieß mich unauffällig an und lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Menschen, die auf der anderen Straßenseite nordwärts unterwegs war. Als wir sie passiert hatten, fragte sie: »Waren das…?«
    »Was? Asexuelle? Ich denke schon.«
    »Ich bin mir niemals sicher. Es gibt Natürliche, die völlig normal aussehen.«
    »Genau darum geht es doch. Man kann sich niemals sicher sein. Wie sind wir überhaupt auf die Idee gekommen, man könnte auf den ersten Blick irgend etwas Wesentliches über einen Fremden erfahren?«
    Asex war im Grunde nicht mehr als ein allgemeiner Oberbegriff für ein weitgestreutes Spektrum von Philosophien, modischen Stilen, chirurgischen Eingriffen und nachhaltigen biologischen Umwandlungen. Das einzige, was zwei Vertreter des Asex miteinander gemeinsam hatten, war die Ansicht, daß heine geschlechtlichen Parameter (neural, hormonell, chromosomal und genital) niemanden außer hie selbst etwas angingen – außer vielleicht den Liebespartner, den Arzt und möglicherweise einigen engen Freunden. Die Möglichkeiten, dieser Haltung Ausdruck zu verleihen, waren vielfältig: Ein Asexueller konnte sich damit begnügen, auf einem Formular hein Kreuz im A-Kästchen zu machen, hie konnte einen asexuellen Namen wählen, das Ausmaß der Brust oder des Körperhaarwuchses

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