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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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und gegen Armut allesamt so teuer waren, daß die, die sie am dringendsten benötigten, sie sich niemals leisten konnten.
    Als ich mich dem Ausgang näherte, sah ich, daß Janet Walsh in dieselbe Richtung ging, worauf ich ein wenig zurückblieb. Sie befand sich in einer Gruppe aus mehreren Männern und Frauen – von denen ein Mann ein paar Meter abseits des Gefolges lief, die Schritte geübt und sicher, den Blick unverwandt auf Walsh gerichtet. Ich erkannte die Technik sofort und den Anwender einen Augenblick später: David Connolly, ein Fotograf in den Diensten von Planet Noise. Natürlich benötigte Walsh ein zweites Augenpaar, da sie kaum bereit gewesen sein dürfte, sich all die gräßliche, entmenschlichende Technik in ihren eigenen Körper einpflanzen zu lassen. Außerdem wäre sie dann nie selbst im Bild zu sehen, was vermutlich noch viel schlimmer war. Es hatte wenig Sinn, eine Berühmtheit als Journalistin zu engagieren, wenn sie die ganze Zeit unsichtbar blieb.
    Ich folgte ihr in diskretem Abstand. Eine Gruppe von vierzig oder fünfzig Anhängern stand draußen in der warmen Abendluft und hielt lumineszierende Transparente hoch – die in der Halbdunkelheit natürlich viel telegener wirkten als im Innern des Gebäudes. Sie verkündeten im synchronen Wechsel die Botschaften: DEMÜTIGE WISSENSCHAFT!, WILLKOMMEN, JANET! und UT – NEIN DANKE! Die Leute jubelten gleichzeitig auf, als Walsh durch die Tür trat. Sie löste sich von ihrem Ring aus Begleitern, um Hände zu schütteln und Küsse zu erwidern. Connolly stand ein Stück daneben, um alles aufzuzeichnen.
    Walsh hielt eine kurze Ansprache, während ihre grauen Strähnen in der Brise wehten. Ich mußte ihr Geschick im Umgang mit Kameras und Menschenmengen anerkennen. Sie beherrschte den Trick, Würde und Autorität auszustrahlen, ohne ernst oder überheblich zu wirken. Und ich bewunderte ihr Durchhaltevermögen, denn sie schien nach dem langen Flug über mehr Energie zu verfügen, als ich hätte aufbringen können, wenn mein Leben in Gefahr gewesen wäre.
    »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, daß Sie gekommen sind, um mich zu begrüßen. Ich bin von Ihrer Freundlichkeit tief gerührt. Und ich möchte Ihnen danken, daß Sie die lange und mühsame Reise zu dieser Insel auf sich genommen haben, um in unser kleines Protestlied gegen die Mächte der wissenschaftlichen Arroganz einzustimmen. Hier versammeln sich Menschen, die daran glauben, daß sie die letzte Zuflucht der Menschenwürde erobern können, daß sie den letzten Quell spiritueller Kraft versiegen lassen können, daß sie die letzten Werte und Geheimnisse vernichten können – mit der Waffe des sogenannten ›intellektuellen Fortschritts‹. Sie wollen uns alle in eine einzige Gleichung pressen, die sie dann wie einen billigen Slogan auf ein T-Shirt drucken lassen. Es sind Menschen, die glauben, daß sie alle Wunder der Natur und alle Geheimnisse des Herzens ans Licht zerren können, um zu sagen: ›Das ist alles. Mehr gibt es nicht.‹ Nun, wir sind gekommen, um ihnen…«
    Die kleine Menge brüllte: »NEIN!«
    Neben mir hörte ich ein leises Lachen. »Aber wenn sie dir gar nicht deine kostbare Würde wegnehmen können, Janet, warum machst du dann einen solchen Aufstand?«
    Ich drehte mich um. Der Sprecher war… Anfang Zwanzig? Asexuell? Hie verneigte den Kopf und lächelte, so daß die Zähne weiß gegen die tiefschwarze Haut aufblitzten, die Augen so dunkel wie Ginas, hohe Wangenknochen, die zu einer Frau gehören mußten – nur daß es natürlich nicht so war. Hie trug schwarze Jeans und ein weites schwarzes T-Shirt. Vereinzelt zeigten sich Lichtpunkte auf dem Stoff, in zufälligen Mustern, als sollte ein Bild dargestellt werden, auf dessen Daten nicht mehr zugegriffen werden konnte.
    »Was für eine Schaumschlägerin!« sagte hie. »Wissen Sie, daß sie früher für D-R-D gearbeitet hat? Bei solchen Referenzen sollte man eine flottere Rhetorik erwarten.« Hie sprach das Wort Re-fe-ren-zen mit einem ironisch schleppenden (jamaikanischen?) Akzent aus.
    DR-D war Dayton-Rice-Daley, die größte Werbefirma der anglophonen Welt. »Sie sind Andrew Worth.«
    »Ja. Wie…?«
    »Sie sind gekommen, um Violet Mosala zu filmen.«
    »Richtig. Sie… arbeiten zufällig mit ihr zusammen?« Hie sah fast zu jung aus, um ein Doktorand sein zu können – aber schließlich hatte auch Mosala ihre Promotion mit zwanzig Jahren abgeschlossen.
    Hie schüttelte den Kopf. »Ich bin ihr nie begegnet.«
    Ich konnte

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