Quarantäne
unter ihnen verstecken zu können, aber wie viele Leichen werden schon transportiert, doch höchstens eine oder zwei pro Woche.
Nun gut, ich habe nichts Besseres zu tun, also sehe ich mir die Frachtpapiere an, die ich nun mal eingekauft habe, und finde sieben Leichentransporte.
Bei der üblichen Sicherheitskontrolle der Passagiere mit dem Röntgengerät werden zugleich die Skelettmaße für die Identifizierung ermittelt. Leichen werden zwar wie jede andere Fracht auch geröntgt, doch überprüft man die Aufnahmen (aus zwei Perspektiven, um ein räumliches Bild zu bekommen) nur visuell, bevor sie dem Manifest beigeheftet werden. Ich brauche eine halbe Stunde, um das Programm zu kopieren, mit dem auf den Flughäfen aus den Röntgenbildern der Passagiere die Skelettmaße errechnet werden. Das gehört zur eingebauten Software der Computer, hat mit dem Abfertigungssystem nichts zu tun und ist darum in meinem Datenberg nicht enthalten. Ich bin froh, daß ich nicht selbst ein Programm schreiben muß; was man an Mathematik braucht, um aus Stereoaufnahmen eine dreidimensionale Darstellung zu bekommen, mag trivial sein, doch einen Algorithmus zu finden, der automatisch das ganze Skelett auswertet, ist keineswegs einfach.
Ich wende das Programm auf die sieben Leichen an und versuche, ob ich eine ungefähre Übereinstimmung mit Lauras Daten finden kann…, und habe auch beim siebten Mal keinen Erfolg. Absurderweise genau in dem Augenblick, als mir aufgeht, warum ihre Entführer genau diesen Weg und keinen anderen gewählt haben. Daß Lauras Hirnschaden die Anwendung eines Marionetten-Moduls ausschließt, ist leicht zu verstehen; ein handelsübliches Modul arbeitet auf der Basis eines normalen Gehirns, wovon sonst soll man bei der Konstruktion denn ausgehen. Und davon kann bei Laura keine Rede sein. Natürlich läßt sich auch dieses Problem überwinden, wenn man genügend Zeit hat – aber dazu müßte man Lauras untypische Hirnfunktionen Punkt für Punkt ermitteln und die Nanomaschinerie der Module entsprechend anpassen. Da bieten sich schon einfachere Lösungen an.
Daß das Ergebnis siebenmal negativ ist, bedeutet gar nichts. Die Röntgenaufnahmen bei den Frachtpapieren konnten schon wenige Minuten nach dem Abspeichern gefälscht worden sein, nicht anders, als man bei einem Visum verfuhr. Computerdaten sind so flüchtig und schwer faßbar wie die Partikel eines Quantenvakuums, die entstehen und vergehen, ohne daß man je ganz sicher sein könnte, daß sie existiert haben. Aber so, wie die Wahrscheinlichkeit ihres Vorhandenseins wächst, je kürzer die betrachtete Zeitspanne ist, so wachsen auch die Möglichkeiten eines Datenfälschers geradezu ins Gigantische, wenn sein Artefakt nur kurze Zeit überdauern muß. Gesetze gelten nur für Daten, die man lange genug betrachten kann.
Ich überfliege das Programm zur Röntgenanalyse, ich bin neugierig, wie es funktioniert, aber der Code für die automatische Skeletterkennung ist eine todlangweilige Angelegenheit, eine unendliche Liste von Regeln und Ausnahmen, dazu die nötigen mathematischen Formeln. Ich habe den bösen Verdacht, daß die Röntgengeräte für Passagiere und Fracht mit verschiedenen Abtastwinkeln arbeiten, so daß das Programm notwendigerweise Unsinn liefern muß, aber alle technischen Daten werden mit den Aufnahmen zusammen gespeichert, auch die Umrechnungsfaktoren sind angegeben. Das Programm überläßt wirklich nichts dem Zufall.
Wenn die Abmessungen eines bestimmten Knochens errechnet sind, dann wird eine Identität dann angenommen, wenn die Abweichungen einen bestimmten, altersabhängigen Wert nicht überschreiten; man muß schließlich berücksichtigen, daß zwischen Ausstellen des Visums und dem Tag des Flugs natürliche Umbauvorgänge im Skelett stattfinden können. Die größte Meßtoleranz gesteht man logischerweise Kindern und Jugendlichen zu, während in Lauras Alter die Grenzen enger gezogen sind. Sollte ich es einmal mit höheren Toleranzen probieren? Die Grenzpolizei ging nicht gern ein Risiko ein und neigte wohl eher zu fälschlich negativen Ergebnissen, ich dagegen würde es besser einmal in der anderen Richtung versuchen.
Meine Borniertheit wird mir so plötzlich klar, daß es mich fast vom Stuhl reißt. Ich tue noch immer so, als würde ich Passagierdaten überprüfen. Aber eine als Leiche getarnte Person braucht nicht zu gehen – es gibt fast nichts, was man mit ihrem Skelett nicht machen kann, selbst wenn das Opfer für immer zum
Weitere Kostenlose Bücher