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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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krümmte mich und ließ mich abrollen, als ich den Boden berührte, das besorgte E4. Ein oder zwei Sekunden lag ich im Gras, blutend und ganz außer Atem. Ich hörte die Flammen hinter mir prasseln, ich fühlte, wie mein Puls sich beschleunigte und die Haut kalt wurde, als El die oberflächliche Blutzufuhr drosselte – eine kontrollierte Version der natürlichen Adrenalinreaktion –, doch blieb die ganze Aufregung lediglich auf meinen Körper beschränkt. Ich konnte gar nicht anders, als mit ruhiger Überlegung die Situation zu betrachten: Ich stand auf und drehte mich um, um die Lage in Augenschein zu nehmen. Die Dachziegel lagen auf dem Rasen verstreut; die Bombe mußte auf dem Dachboden, nicht weit von der Rückseite des Hauses, gezündet worden sein. Vielleicht genau über dem Schlafzimmer. Ein gallertiges, blasenbildendes Zeug sickerte langsam herunter, von dem blaue Flammen aufstiegen.
    Ich wußte, daß Karen tot war. Nicht verletzt, nicht in Lebensgefahr. Ungeschützt genau unter dem Detonationspunkt mußte sie auf der Stelle tot gewesen sein.
    Ich habe seither sehr viel darüber nachgedacht und ich kam jedesmal zu dem gleichen Schluß: Jeder normale Mensch wäre in einer solchen Situation ins Haus gestürzt, hätte sein Leben riskiert – unter Schock, verwirrt, ungläubig. Hätte ohne Zögern etwas getan, was so gefährlich wie nutzlos war.
    Aber der kleine Zombie-Pfadfinder wußte, daß nichts mehr zu tun war. Er drehte sich einfach um und ging.
    Und da er nun wußte, daß es für die Tote nichts zu tun gab, kümmerte er sich um die Nöte des Überlebenden.

 
3
     
    Ich kann es versuchen, so oft ich will, ich finde keinen einzigen einleuchtenden Grund, warum Dupreys Leute nicht damit zu tun haben sollten. Auch wenn sie sich bisher noch nicht darauf verlegt hatten, Leute mit Hirnschaden, die am Barrieren-Tag gezeugt worden waren, zu entführen – irgendwann konnten sie doch damit anfangen. Kandidaten, die ihnen geeignet erscheinen mochten, gab es nun mal nicht allzu viele. Und wenn es einen solchen Fall bisher noch nicht gegeben hatte, so war die Idee doch sicher absurd genug, um ihnen zu gefallen. Bis zu diesem Tag waren die Kinder in Neu-Hongkong nie aktiv gewesen, aber das hieß nicht, daß sie hier nicht einen Schlupfwinkel haben konnten. Um Laura einzuschmuggeln, brauchte man nicht mehr als vier oder fünf Leute.
    Ich gehe im Zimmer auf und ab. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Es ist mehr Ärger als Furcht, was ich fühle – als hätte mein Auftraggeber das alles wissen und mich von Anfang an warnen müssen. Das ist blödsinnig, aber Tatsache bleibt: Für das Honorar, das ich bekomme, muß ich mich nicht mit Terroristen einlassen, schon gar nicht mit den Kindern. Sie haben sich nicht die Mühe eines zweiten Anschlags auf mein Leben gemacht – das tun sie nie, wenn jemand zufällig davonkommt. Man könnte meinen, sie weigerten sich schlicht, Mißerfolge zur Kenntnis zu nehmen. Doch habe ich keineswegs vor, sie erneut auf mich aufmerksam zu machen, geschweige denn einen handfesten Grund zu liefern, damit sie mich auf ihre Schwarze Liste setzen.
    Ich telefoniere mit dem Flughafen; um sechs gibt es eine Maschine. Ich buche einen Platz. Ich packe. Das alles ist eine Sache von Minuten. Dann sitze ich auf dem Bett und starre meinen Koffer an – und langsam finde ich den Blick für die Realitäten wieder.
    Nun gut, Laura war wahrscheinlich am Barrieren-Tag gezeugt worden. Hatte das irgendeine Bedeutung? Auf allen Polizeicomputern des Planeten laufen pausenlos Programme, die alle möglichen Zwangsvorstellungen der Kinder nachzuvollziehen versuchen – Tag, Monat und Jahr irgendwelcher Ereignisse, Zahlenmystik, Himmelskonstellationen, alles bis zum Überdruß. Und die Ergebnisse sind immer dieselben: Datenberge, in denen es von scheinbaren Zusammenhängen und Zufällen wimmelt. Gigabytes von Datenschrott. Wie man es auch anstellt, zwanzig Prozent von allem, was es gibt, entpuppt sich als möglicherweise bedeutungsvoll für die Kinder. Der Anteil tatsächlicher Zusammenhänge ist natürlich verschwindend gering. Die Methode ist kaum brauchbarer, als würde man gleich dazu übergehen, jedermann mit derselben Augenfarbe wie Marcus Duprey als potentiellen Terroristen zu betrachten.
    Zweifellos würde eines der Chaos-Kinder, wenn es von Lauras wundersamer Zeugung erfuhr, dieser Tatsache große Bedeutung zumessen – aber das konnte man unmöglich als Beweis für eine Entführung durch die Kinder betrachten.

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