Quarantaene
Entschuldige, dass ich dich damit behelligt habe.«
»Kein Problem. Am Wochenende könnten wir vielleicht mal ein Bier trinken gehen, okay?«
»Klar.«
»Schlaf dich mal aus, Charlie. Du hörst dich an, als hättest du Sorgen.«
Ja, dachte er. Hab ich.
Zwanzig
Chris hatte mehr als die halbe Nacht damit verbracht, Marguerite zu trösten. Das Fragment der Zeitschriftenseite bestätigte keine irgend gearteten Vermutungen, ließ aber auf große Gefahr schließen, und Marguerite kam in ihrer Besorgnis immer wieder auf das Thema Tess zurück: Tess, von Ray bedroht; ihre kleine Tess, von der ganzen Welt bedroht.
Irgendwann wusste er nicht mehr, was er ihr noch sagen sollte.
Kurz vorm Morgengrauen war sie dann eingeschlafen. Chris wanderte ziellos durchs Haus. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut, diese Doppelladung aus Furcht und Schlaflosigkeit, wie eine Überdosis Amphetamin. Schließlich ließ er sich in der Küche nieder, bei geöffneter Jalousie, sodass er den kobaltblauen Himmel sehen konnte und die vorstadttypischen Reihenhäuser, die in der aufblühenden Morgendämmerung schimmerten wie leicht ramponierte Bonbonschachteln.
Gern hätte er jetzt etwas zum Entspannen gehabt, eins von den Schmerzmitteln, die einst so leicht zur Hand gewesen waren, irgendeine besänftigende oder euphorisierende Chemikalie oder auch nur einen genüsslichen kleinen Joint. Hatte er Angst? Wovor hatte er Angst?
Nicht vor Ray, nicht vor den O/BEKs, vielleicht nicht einmal vor dem eigenen Tod. Er hatte Angst vor dem, was Marguerite ihm geschenkt hatte: ihr Vertrauen.
Es gibt Männer, dachte Chris, denen man nichts Zerbrechliches anvertrauen sollte. Die lassen es nur fallen.
Sobald die Sonne angemessen hoch stand, rief er Elaine Coster an. Er erzählte ihr von der Ambulanz, dem bewusstlosen Piloten und der angesengten Seite.
Sie schlug ein Treffen im Sawyer’s vor, für zehn Uhr. Chris sagte: »Ich sage Sebastian Bescheid.«
»Wollen Sie wirklich diesen Scharlatan mit dabeihaben?«
»Bisher war er immer hilfreich.«
»Na, wie Sie meinen«, erwiderte Elaine.
Er weckte Marguerite, bevor er das Haus verließ. Er teilte ihr mit, wo er hinwollte, und setzte ihr eine Kanne Kaffee auf. Sie saß im Nachthemd in der Küche, machte einen niedergeschlagenen Eindruck. »Ich muss immerzu an Tess denken. Glaubst du, dass Ray sie wirklich bei sich behalten will?«
»Ich weiß nicht, wozu Ray imstande ist. Die dringlichste Frage ist, ob er eine Gefahr für sie darstellt.«
»Ob er ihr was tun könnte, meinst du? Nein. Das glaube ich nicht. Jedenfalls nicht direkt. Nicht körperlich. Ray ist ein komplizierter Mensch und ein Arschloch von Natur aus, aber er ist kein Monster. Er liebt Tess – auf seine Art.«
»Sie soll Freitag wieder zu dir kommen. Vielleicht sollte man bis dahin warten; sehen, was er macht, nachdem er Gelegenheit hatte, sich abzuregen. Falls er dann immer noch darauf besteht, sie zu behalten, werden wir entsprechende Schritte unternehmen.«
»Falls irgendwas Schlimmes passiert mit Blind Lake, möchte ich sie bei mir haben.«
»So weit ist es ja noch nicht. Aber, Marguerite, selbst wenn Tess nicht in Gefahr ist, muss das nicht heißen, dass du sicher bist. Dass Ray ins Haus eingedrungen ist, macht ihn zu einem Stalker. Es macht ihn unberechenbar. Wie gut sind deine Schlösser?«
Sie zuckte die Achseln. »Nicht besonders. Ich könnte mir wohl einen neuen Schlüssel machen … aber dann kommt Tess ohne mich nicht ins Haus.«
»Mach einen neuen Schlüssel und lass Tessas Karte updaten, selbst wenn du dich dafür an die Schule wenden musst. Und werde nicht unvorsichtig. Schließ immer die Tür ab, wenn du alleine bist, und mach nicht auf, ohne vorher zu gucken, wer da ist. Achte darauf, dass du deinen Pocket-Server immer griffbereit hast. Im Notfall ruf mich an oder Elaine oder meinetwegen sogar diesen Sicherheitsmenschen, wie heißt er noch? – Schulgin. Versuch nicht, die Sache allein in die Hand zu nehmen.«
»Du hörst dich so an, als hättest du das alles schon mal durchgemacht.«
Er verließ das Haus, ohne darauf zu antworten.
Im Sawyer’s nahm Chris einen für sich stehenden Tisch in Beschlag, in gehöriger Entfernung zu den Fenstern. Das Restaurant war nicht sehr voll. Der Koch und einige der Kellnerinnen waren, so Chris’ Vermutung, mehr oder weniger nur aus Gewohnheit da. Das Speisenangebot war auf Sandwiches geschrumpft: Schinken, Käse oder Schinken-Käse.
Elaine traf zeitgleich mit
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