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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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sollte sie bald wieder mit ihrer Homepage umziehen, nur zur Sicherheit. Sie ist seit fast einem halben Jahr auf derselben Adresse, das ist dinosaurisch.
    Sie kriecht unter dem Regenschirm hervor und holt den Sunblocker aus dem Bad. Es ist fast Mittag, lange kann sie nicht mehr draußen bleiben. Sie denkt diesmal auch an die Oberkante ihrer Ohren, das war ihr letztens eine Lehre. Als sie klein war, lachten diese recyclingpapierfarbenen Deutschen und zeigten mit dem Finger, wenn ihre Mutter sie und ihre Schwestern im Schwimmbad eincremte. Damals glaubten einige noch, dunkle Haut mache gegen UV-Strahlung immun, quasi wie ein Bettüberwurf.
    Auf einmal fällt ihr auf, dass Kevin Glubkowski längst hätte anrufen müssen. Sie hat sich wieder einmal verrechnet, es hätte um elf sein müssen, nicht um zwölf. War ihre Leitung belegt, oder haben sie ihn gefasst? Sie tritt gegen den Mülleimer und ist überrascht von sich. Sie verdächtigt sich, gelobt werden zu wollen für diese sinnlose Fleißaufgabe. Einem Unbekannten will sie zeigen, was für tolle Verbindungen sie hat.
    Nach Ansicht des Notarztes eher nichts Allergisches, hätte sie gerne gesagt, und wie zuvorkommend, dass Sie die Türen gesichert haben.
    Dabei ist die Sackbauer reines Glück gewesen, ein Zufall, der kürzest denkbare Weg. Oder hat sich umgekehrt Kevin über die Sackbauer und Jan ihre Nummer besorgt? Arbeiten sie in Wahrheit alle zusammen? Das ist absurd. Warum sollte… Sie starrt das Smartpad an. Elf Uhr siebenundfünfzig. Wenn sie nie mehr von Kevin G. hören würde, wenn sie Karimi fragen müsste, was aus ihm geworden ist, weil es eine solche Nachricht inzwischen in keinen Newsroom mehr schafft, wäre sie enttäuscht. Warum eigentlich?
    Sie setzt sich unter den Regenschirm und denkt nach.
    Von der anderen Seite des Platzes kommt wieder die Paketfrau, diesmal ohne Paket, sondern Hand in Hand mit einem weißhaarigen Mann. Statt des Rocks trägt sie jetzt eine flatternde Hose. Aber sie ist es, zweifellos. Und sie bewegt sich normal. Sie scheint sich gar nicht wehgetan zu haben.
    Die Dinge sind meistens viel einfacher, als sie scheinen. Sobald man die Lösung kennt, flitzen alle querstehenden Details an ihren natürlichen Platz und machen sich klein. Nach allem, was in den letzten Monaten los war, wäre es durchaus denkbar, dass einer, der zu Hause seine vermeintlich tote Tante findet, in Panik flüchtet. Und trotzdem vorher den Notarzt ruft.
    Vor allem, wenn er sich von irgendeiner Seite verfolgt fühlt. Vielleicht hat Jan recht gehabt, vielleicht ist in Kevins Firma wirklich etwas los, und er konnte nicht anders, als an eine Intrige zu denken.
    Karimis Theorie, dass einer, der sich für besonders schlau hält, seine Tante, meinetwegen im Affekt, umbringt, und sich dann, weil man das vom Täter nicht erwarten würde, anklagend an Shanti wendet, die diese Hexenjagd auf unschuldige Angehörige angeblich erst entfesselt hat, kommt ihr fünfmal zu kompliziert vor. Gut, man muss alle Varianten durchspielen. Tante Mia wäre aber nach Shantis Erfahrung ein völlig untypisches Opfer. In fünfundneunzig Prozent der Fälle sind es Demente oder Schwerstpflegebedürftige, solche, die nichts mehr selbst können, denen man die Nahrungssonden reinigen, die wundgelegenen Stellen verbinden oder erklären muss, wer sie überhaupt sind. In den übrigen fünf Prozent sind es pflegeunabhängige Motive wie Hass oder Erbschaft. Diese Fälle hat es immer gegeben, nicht erst, seit das Pflegesystem kollabiert ist. Also gehört Tante Mia entweder zu den seltenen fünf Prozent – dann wäre Kevin erstens besonders dumm und hätte zweitens bestimmt nicht ausgerechnet sie angerufen –, oder sie ist auf natürlichem Weg, wenn auch völlig unerwartet, gestorben und hat einen paranoiden Neffen in eine missliche Lage gebracht.
    Shanti ruft Doktor Guttmann an. Während es klingelt, setzen sich die Paketfrau und ihr Mann auf eine Bank im Schatten. Beide haben Bücher mit, sie lehnt ihren Kopf kurz an seine Schulter. Wahrscheinlich haben sie eine heiße Wohnung, wie Shanti.
    Das ging aber schnell, sagt Guttmann und klingt erfreut. Shanti versteht nicht. Er hat ihr erst vor ein paar Minuten eine Nachricht geschickt. Während sie zu erklären beginnt, warum sie anruft, schaut sie auf dem Smartpad nach. Da steht: Falls Sie Lust haben, einmal nicht über Alter und Tod zu sprechen, … Dann eine Einladung zum Abendessen.
    Sie unterbricht sich und sagt: Ihre Nachricht. Ich sehe sie gerade. Es

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