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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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tut mir leid, dass ich Sie schon wieder… Entschuldigung. Ich … würde übrigens sehr gern.
    Na prima, sagt er und lacht. Aber first things first – fahren Sie fort.
    Was Shanti bisher hat, ist viel zu wenig. Es gibt zig Gründe, warum eine fast Neunzigjährige zusammenbricht und nicht mehr aufsteht. Vielleicht nur ein Kreislaufproblem, kein Wunder bei diesen Temperaturen, und ein unglücklicher Sturz. Die Alten kriegen Blutverdünner und Antihypertensiva verschrieben, messen brav mehrmals täglich ihren Blutdruck und setzen nach einer Weile eigenmächtig die Medikamente ab. Es ging mir gut, und die Messwerte waren so lange in Ordnung, erklären sie einem verwundert, wenn sie dann noch etwas erklären können. Vom Reboundeffekt wissen sie nichts, auch nichts vom Ausschleichen. Sie machen allen möglichen Unsinn. Belehren ihre Ärzte oder halten sie für Scharlatane. Bis zum letzten Atemzug wollen sie kritische Konsumenten sein. Dabei verwechseln sie die Schachteln, vergessen ihre Medikamente und nehmen dann zur Sicherheit die dreifache Menge.
    Es gibt Aortendissektionen, Aneurysmen, Thromben und so weiter. Das alles kann plötzlich geschehen. Früher war man an das Plötzliche wie an das Unveränderliche besser gewöhnt. Heute hängen Kameras in jedem Flur und Pieper um jeden Hals, deshalb erwischt man sie noch so oft in diesem unscharfen Bereich zwischen Leben und Tod. Dort hält man sie wochenlang fest. Zurück können sie nicht, nach vorne, in das Unbekannte, dürfen sie nicht. Dafür sorgen die Maschinen. So ein Sekundentod ist hierzulande schon fast ungewöhnlich.
    Sie war noch gar nicht tot, sagt Shanti.
    Das auch noch, sagt Guttmann.
    Aber hier hat man noch zu wenig Anhaltspunkte. Sobald der Obduktionsbericht da ist, wird sie, sagt Guttmann, bestimmt klarer sehen.
    Shanti hat das alles eigentlich selbst gewusst.
    Vielleicht wollte ich Sie einfach anrufen, sagt sie und schaut zu, wie sich an ihrem Unterarm die Härchen aufstellen. Trotz Hitze. Sie verabreden sich für den nächsten Abend.
    Ich bin neugierig, ob Sie Ihren Fall dann gelöst haben, sagt er zum Abschied.
    Ich bin keine Detektivin, sagt Shanti.
    Ich glaube doch, sagt er und legt auf.
    Während sie den Regenschirm zusammenklappt, reicht unten die alte Frau ihrem Mann eine Wasserflasche. Shanti zieht den Sitzsack nach drinnen, legt ihn aber direkt hinter die Glasscheibe. Dort lässt sie sich im kühleren Dunkel nieder, mit dem Smartpad auf dem Schoß. Durch den handbreiten Spalt im Vorhang hat sie den Platz weiterhin gut im Blick. Die Arbeitslosen sind mehr geworden, ein paar Jüngere kicken mit einem gepunkteten Kinderball. Shanti glaubt, hinten in der Muthesiusstraße die Parksheriff-Blondine zu erkennen, die mit ihrer strengen Patrouille beginnt. Die Paketfrau küsst ihren Mann auf die Wange, dann rutscht sie von ihm weg, ans Ende der Bank, setzt sich quer in den Schneidersitz, einen Arm über der Lehne, und beginnt zu lesen.
    Das Smartpad blinkt, Jan ruft an. Er klingt beinahe aufgeregt, denn er hat etwas gefunden: Auf weitverzweigten Wegen gehört oder gehörte der Betrieb, für den Glubkowski arbeitet, zum Fidelion-Konzern.
    Shanti hört gespannt zu. Zwar war früher, vor dem Zusammenbruch, fast jede zweite Firma irgendwie mit Fidelion verbunden, entweder als Teil eines Subkonzerns oder als Zulieferer. Jedenfalls in bestimmten Branchen. Aber dass ausgerechnet ein Potsdamer Armaturenhersteller in die Malefikationen verwickelt sein könnte, das ist überraschend.
    Jan, der Wirtschaftskrimis liebt, erklärt, dass von den veruntreuten Milliarden ein Bruchteil in der Region versickert sein soll. Mit Bruchteil ist eine dreistellige Millionensumme gemeint. Es habe vor Jahren eine Ermittlungsgruppe Berlin-Brandenburg gegeben, die aber wegen Erfolglosigkeit aufgelöst wurde. Man habe damals vermutet, dass die Ermittler massiv bestochen worden seien. Mit einem Bruchteil vom Bruchteil sozusagen. Während sie sprechen, schickt Jan ihr ein skizziertes Organigramm auf ihr Smartpad. Für Shanti sieht es wirr aus, aber wenn Jan glaubt, dass ausgerechnet Glubkowski als Prokurist einer Wasserhahnfirma ein Schlüssel zu diesem Fall sein könnte, nimmt sie das ernst.
    Zwei, drei Fragen, schlägt Jan vor, solle sie Glubkowski beim nächsten Anruf stellen. Dann wären folgende Dinge sofort geklärt: ob er bereit ist, zu kooperieren, oder ob er etwas anderes im Schilde führt. Ob er tatsächlich Grund hat zu vermuten, dass er mit Tante Mias Tod erpresst oder zum

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