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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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ab und beobachtete sich dabei, wie er ihm jovial auf die Schulter klopfte: Sag mal, Schurl, die Kommunisten in Österreich waren in einer komischen Rolle, oder? Es gab eine winzige Pause, in der Slezak bestimmt überlegte, ob es feige war, nach dem Seil zu greifen. Dann lachte er, heiser, wahrscheinlich ein Ex-Raucher, ein Wunder eigentlich, Kommunisten waren doch die Letzten auf der Welt, die noch verlässlich rauchten. Da hast du recht, stimmte er zu und begann zu erzählen, und Bernays gratulierte sich, denn er wusste, der Rest des Tages würde nur noch ein langer Trauermarsch sein, der Höhepunkt war vorbei, man bleibt sitzen und isst auf, aus Höflichkeit, aber auch, weil man die Zeit braucht. Alles hat seine Zeit.
    Zum Abschluss standen sie an den Bahngleisen, die erst relativ spät durch das Tor gelegt worden waren. Die normalen Touristen wussten das nicht. Sie entstiegen ihren klapprigen polnischen Reisebussen, die in Krakau und Umgebung mit der einzigartigen Sehenswürdigkeit Auschwitz lockten, sahen diesen Querriegel von einem Tor, dieses Symbol, das sie längst aus Kino und Fernsehen kannten, auch wenn es dort meistens ein Nachbau war, und gruselten sich bei der Vorstellung, dass die vielen hunderttausenden Opfer erst durch dieses Tor gefahren und dann aus den Viehwaggons herausgebrüllt worden waren. Doch das stimmte nicht. Die längste Zeit waren sie woanders angekommen, an der sogenannten Judenrampe, aber was machte das schon für einen Unterschied.
    Am Vorabend, bei einer weiteren deprimierenden Käse-Wurst-Brot-Mahlzeit auf Plastiktabletts, hatte Xane Bernays gestanden, dass sie deshalb nie mit Rozmburk mitgefahren war. Sie habe ihm nie zugetraut, ihr das beizubringen, was sie wissen musste. Das klinge wahrscheinlich absurd. Sie brauche aber kein Mehr an Gefühl, sondern an Fakten, sozusagen gegen diese ekelhaften Gefühle aus zweiter Hand. Bernays versicherte ihr, dass er das nicht absurd fand. Er verstand genau, was sie meinte. Die existenzielle Erfahrung ist nicht nur eine andere, sie hat auch andere Rechte. Rozmburk hätte so etwas über die Judenrampe sagen können, mit einem Achselzucken: Was macht das für einen Unterschied? Rozmburk konnte das egal sein, denn er war ja hier angekommen. Aber jemand wie Bernays bedankte sich für den Zufall der späten Geburt mit der Akribie des Wissenschaftlers. Die Verschonten haben kein Recht auf das Ungefähre. Dass Xane das verstand, ja, dass sie es selbst schon wusste, machte ihn einerseits glücklich, andererseits war das ja die Voraussetzung für alles. Er bildete sich ein, ihr das gleich angesehen zu haben, obwohl ihn das rote Hemd abgelenkt hatte.
    Die Frage von rechts oder links, begann er und bemerkte, dass ihn die Blase drückte, hat nichts mit falscher Erinnerung oder unglaubwürdigen Zeugen zu tun. Die Links-rechts-Geschichte hatte meistens einen ähnlichen Effekt wie jene vom blühenden Oświęcimer Jerusalem, mit der er – das war erst am Vortag gewesen! – begonnen hatte. Insofern ein würdiger Abschluss. Auch sie attackierte die inneren Fabeln. Nein, wir kommen nicht hierher, um an einem scheinbar gut bekannten Ort vorfabrizierte Gefühlsstürme vom Stapel zu lassen, Trauer, Wut, Empörung, je nach Charakter. Das wäre so kreativ und lehrreich wie eine Runde auf der Carrera-Bahn. Vielmehr erfahren wir etwas über die Abweichungen von unseren festgestanzten Annahmen. Links war nicht immer der Tod, und rechts nicht das Leben. Es kam darauf an, auf welchem Gleis der Zug ankam. Ob einer Mann oder Frau war. Von welcher Seite die SS zu selektieren begann. Alltägliche Fragen eigentlich, die jedem einleuchten, der das hier als normales logistisches Problem zu betrachten in der Lage ist. So festgezurrt sieht es nur aus weiter, mythischer Entfernung aus, rechts oder links, wie ein göttliches Gebot. Genau das war es eben nicht. Nein, nein, es war Alltag, einmal so, einmal anders.
    So, und jetzt habe ich die Schnauze voll, sagte er abrupt. Einige schauten erschrocken, wie ertappt. Mir ist kalt, ich habe Hunger, und außerdem platzt mir gleich die Blase, setzte er nach, als wären sie daran schuld, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zum Ausgang. Als sie sich vor den Toiletten wiedertrafen, reichte er Xane aufs Neue den Arm. Sie sah blass und müde aus und fragte ihn diesmal nicht, warum.
    And, how did you like it, fragte er nach zweihundert Metern Schweigen.
    Ich hasse dich, sagte sie.
    Es hat dich also erwischt, fragte er.
    Ich war mir

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