Quasikristalle: Roman (German Edition)
Lämpchen verfügten, über Röhrchen zum Aufblasen, falls die Automatik nicht funktionierte, außerdem über ein Pfeifchen und ein Lämpchen? So ein trauliches Bild, all die schaukelnden Lichter auf dem Wasser, beinahe wie der Schwimmende Markt in Bangkok, fast gerettet, das Schlimmste jedenfalls überlebt.
Bernays rutschte Xane hinterher, direkt neben sie, danach kamen Mario, Frauke, Jürgen und der Schriftsteller. Sechs pro Loge. Der Herr Architekt kam zu spät, wahrscheinlich war er auf der Toilette gewesen oder hatte sich ebenfalls die Schuhe abgetreten, und diesen strategischen Fehler nahm er sich übel. Er musste mit dem Sportreporter in die Loge nebenan, zusammen mit ein paar Studenten. Links ging ein Lämpchen an, und rechts, bis sie alle sicher eingefahren waren in ihre heimeligen roten Buchten.
Der Kellner schlenderte herbei, verteilte wortlos in Samt gebundene Speisekarten und schien sich genötigt zu fühlen, weil Bernays, anstatt eines Danks, sofort eine erste Runde Wodka bestellte. Sie aßen zähes gebratenes Fleisch, das sich als Rumpsteak ausgab, dazu Fritky mit Ketchup und Mayonnaise. Der blasse Jürgen steuerte die merkwürdige Information bei, dass das in Berlin ›Pommes-Schranke‹ heiße.
Wieso Schranke, fragte Mario, und Xane rief: Klapp ihn rauf, Mario!
Wen, fragte Mario und wurde ausgelacht. Welche Farbe hat der Schranken vor deinem Kopf, fragte Xane.
Er schaute sie hilflos an.
Auch wenn du gerade kein D-Zug bist?
Da verstand er es, oder tat zumindest so.
Frauke bemerkte, in Deutschland heiße es ›die Schranke‹. Vom Nebentisch rief jemand, in Österreich heiße es ›der Butter‹ und ›das Teller‹.
Aber nur auf der Alm, protestierte Xane.
Am Nebentisch erprobte Schurl Slezak seine geringen Tschechisch-Kenntnisse am polnischen Kellner, ohne ihn zu erweichen. Liebesbedürftig und beschwipst, wie Slezak inzwischen war, lauschte er dem eisigen Golem die polnischen Ausdrücke ab und bestellte in immer kürzeren Abständen neue Runden. Geht alles auf mich, lallte er, die Mama hat mir etwas hinterlassen.
Moni und der Herr Architekt stritten erneut über die Frage, ob die Musiker, die in Auschwitz spielten, durch die Musik etwas wie Glück oder Zuflucht empfunden hatten. Der Herr Architekt schien absichtlich Öl ins Feuer zu gießen, um Bernays’ Interesse zu erregen. Der aber fühlte genüsslich seine Hornhaut wachsen. Dieser Architekt war ja auch nicht sauber. Das schien eine rein technische Opposition zu sein, alles und jedes zu hinterfragen und probeweise umzukehren, um geistig in Bewegung zu bleiben, wie er das wahrscheinlich genannt hätte. Man könnte es geistigen Zappelphilipp nennen, ohne jeden Mehrwert. Und solche wie Moni hatte Bernays wahrlich oft genug gesehen. Der Starrsinn, mit dem sie auf ihrer blankpolierten Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß, zwischen garantiert und unmöglich beharrte, war bei beschränkter Intelligenz die einzige Möglichkeit, angstfrei den moralischen Kurs zu halten.
Das war übrigens etwas, worüber man mit Rozmburk nicht reden konnte. Die Gründe, warum einer anständig war, waren ihm egal. Aber Bernays drängte es, zwischen primitiver und reflektierter Anständigkeit zu unterscheiden. Solche Diskussionen waren früher wie ein Gesellschaftsspiel zwischen ihnen gewesen, philosophisches Schach.
Du bist mir zu gescheit, stöhnte Rozmburk, wenn er nicht mehr weiterwusste, auch meine Unbildung verdanke ich den Nazis. Und dieser Satz beendete die Debatte, weil er Bernays in einer Weise aggressiv machte, die er weder verstand noch überwinden konnte.
Mario und Jürgen versuchten, You are down and out zu singen, und scheiterten an ihren unterschiedlichen Stimmlagen. Xane und Frauke hielten sich dekorativ die Ohren zu. Der Student, der so gern fotografierte, strich mit einem Mal Uschi, oder war es Muschi, über die Wange und wirkte dabei erwachsener. Bernays sah es aus dem Augenwinkel. Wieder einmal bin ich Zeuge einer Mannwerdung, dachte er, kommt natürlich öfter vor, wenn man sein Leben unter Studenten verbringt. Ob ich meine eigene deshalb verpasst habe?
Als er später auf dem Klo sein Handy überprüfte, waren da fünf versäumte Anrufe, alle von Pauline. Er schaltete das Gerät ab und kicherte sich im Spiegel zu. Im Licht der Neonröhre wirkten seine Haare rosa. Man sollte die junge Friseuse auspeitschen, mit Doderers Samtbändern, und die Sekretärin des Wiener Historischen Instituts gleich dazu. Sie waren ihm zu Zwillingsschwestern
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