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Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken

Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken

Titel: Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Puri
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privaten Schulen geschah das sogar erst im Jahr 1999! Diese Praxis war bei Eltern gar nicht so unbeliebt wie man meinen könnte. Obwohl englische Lehrer auch heute ganz offiziell „maßvolle physische Gewalt“ – was immer das sein mag – einsetzen dürfen, plädiert laut Umfragen die Hälfte aller Eltern dafür, die Prügelstrafe an Schulen wieder einzuführen.
    Die lange Hand des Lehrkörpers reicht in England weit über den Unterricht hinaus. Englische Lehrer können ihre Schüler ohne solchen Firlefanz wie Elternbriefe nachsitzen lassen, wobei der englische Schultag ohnehin schon von der allerersten Klasse an bis in den Nachmittag reicht. Lehrer können Schüler aus der Klasse werfen, durchsuchen und Besitztümer wie Mobiltelefone, MP3-Player, Sexhefte und Zigaretten beschlagnahmen.
    Die schlimmste aller Strafen – noch dazu eine Kollektivstrafe für alle! – ist aber nach wie vor das mittägliche Schulessen (school dinner) , das eigens entwickelt wurde, um englische Schüler täglich daran zu erinnern, dass die Welt ein düsterer Ort ohne jede Hoffnung ist. In der Regel besteht es aus einem Stück frittierten Fleisch, zwei optisch nicht zu unterscheidenden Gemüsesorten mit Aluminium-Beigeschmack und einem Nachtisch, der nicht selten als das schrecklichste Erlebnis der Schulzeit im Gedächtnis bleibt. Mein persönliches Waterloo war Vanillepudding (custard) mit einer kalten Haut, die so dick war, dass der Löffel von alleine drin stehen blieb. An dieser Stelle noch mal ein „Danke“ an die Kantine der Fishbourne Primary School!
    Eine andere bei Schülern gefürchtete Spezialität heißt tapioca pudding: eine Art klumpige, reismilchartige, grünliche Gelatine mit dem hübschen Kosenamen frogspawn , „Froschlaich“. Sie schmeckt nach Tapetenkleister und eignet sich – wie auch die cannonball peas („Kanonenkugel-Erbsen“) – prima dazu, mit einem Löffel an die andere Seite des Raums geschossen zu werden. Der Lichtblick aller Schulnachtische war viele Jahrzehnte lang der zutiefst englische Battenburg cake , eine Art Schwamm in neonfarbenem Schachbrett-Muster mit einer zwei Zentimeter dicken Zuckermarzipan-Umhüllung. Er wurde jüngst aus dem Verkehr gezogen, weil er ausschließlich aus Lebensmittelzusätzen besteht, die angeblich bei Kindern Hyperaktivität auslösen. Bei mir löste er seinerzeit ausschließlich tiefe Glücksgefühle aus.
    Die meisten englischen Schüler entwickeln im Laufe der Jahre erstaunliche Fertigkeiten darin, die ungenießbarsten school-dinner -Speisen in einem unbeobachteten Moment auf den Teller des Nachbarn zu schaufeln, in die Serviette zu wickeln oder auf dem Luftweg (siehe oben) zu entsorgen. Wer wohlmeinende Eltern hat, kann statt in der Schulkantine zu speisen, eine Lunchbox mit aufgeweichten Käse-Gurkensandwichs und oxidierten Apfelstückchen von Zuhause mitnehmen. Dank des unermüdlichen Kreuzzugs von Starkoch Jamie Oliver haben einige englische Schulkantinen mittlerweile tatsächlich die Existenz von Salat zur Kenntnis genommen. 32
    Verdauungsstörungen geistiger Art löst das englische Bildungswesen mit seiner schier unübersehbaren Zahl von Differenzierungen aus: First School, Middle School, High School, Primary School, Secondary School, Prep School, Sixth Form College, Tertiary College, Infant School, Junior School, Junior Comprehensive School, Comprehensive School, Senior Comprehensive School, Grammar School, Independent Scholl, Public School, Secondary Grammar School, Secondary Modern School, GCSE’s, A-Levels … Klingt alles furchtbar verwirrend, liegt aber wie immer nur daran, dass die Engländer – ich erwähnte es bereits – zu viele Worte für ein und dieselbe Sache haben. Eigentlich ist nämlich alles ganz einfach: Mit fünf Jahren kommt jedes englische Kind in die Primarschule. Sieben Jahre später in die Sekundarschule, die in der Regel eine Gesamtschule (comprehensive school) ist. Dort absolviert es entweder im Alter von 16 das General Certificate of Secondary Education , kurz GCSE . Bei dieser Prüfung handelt es sich nicht um eine allgemeine Abschlussprüfung wie sie in Deutschland üblich ist, sondern um eine Einzelfachprüfung. Wer das GCSE in fünf Fächern seiner Wahl macht, hat so etwas wie die Mittlere Reife, und wird dann wie auch in Deutschland Frisör, Automechaniker oder Arbeitsloser. Drückt man zwei Jahre länger die Schulbank und erwirbt mit 18 Jahren in mindestens drei Fächern das Certificate of Education at Advanced Level, kurz

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