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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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hätte, könnte ich dich jetzt anlügen und dir erzählen, dass sein Tod einem höheren Zweck diente. Aber er war ein Mann, der die Wahrheit schätzte. Der Mann, der ihn erschossen hat, starb bald danach bei einer Auseinandersetzung in einer Kneipe. Wir haben angenommen, dass der DGI dafür verantwortlich war, weil sie zu der Schlussfolgerung gelangt waren, dass der Mann seelisch instabil und völlig unzuverlässig war.«
    Tito musste blinzeln.
    »Du hast kein einfaches Leben gehabt, Tito. Da ist ja auch die Krankheit deiner Mutter. Deine Onkel sorgen dafür, dass sie bestens betreut wird. Wenn sie das nicht könnten, würde ich selbst es tun.«
     
    Tito half Garreth, den Pelicase wieder hinunter zum Lieferwagen zu tragen. »Das geht auf die Handgelenke«, sagte Garreth. »Die darf ich heute Abend auf keinen Fall mit diesem Monsterkoffer überanstrengen.«
    »Was ist da drin?« fragte Tito, als sie den schwarzen Koffer hinten in den Transporter schoben, und verstieß damit ganz bewusst gegen das Protokoll.
    »Vor allem Blei«, antwortete Garreth. »Fast so etwas wie ein massiver Bleiklotz.«
     
    Der Alte hatte sich zu Bobby gesetzt und redete leise und beruhigend auf ihn ein. Tito hörte zu. Bobby erinnerte ihn nicht mehr an seine Mutter. Seine Angst hatte eine andere Wellenlänge. Tito vermutete, dass er sich absichtlich von ihr überwältigen ließ, sie förmlich zu sich einlud und benutzte, um die Schuld immer auf andere zu schieben und sie so zu kontrollieren.
    Die Angst von Titos Mutter, nach dem Einsturz der Hochhaustürme, war ein tiefer, nicht mehr enden wollender Nachhall, den niemand durchdringen konnte und der nach und nach die Fundamente des Menschen, der sie einmal gewesen war, aushöhlte.
    Er sah hinauf zu dem dunklen Oberlicht und versuchte, New York zu spüren. Auf der Canal Street ratterten Lastwagen über Metall, sagte er sich. Unter dem Pflaster jagten die Züge dahin, durch ein Tunnellabyrinth, das seine Familie mit peinlichster Genauigkeit kartographiert hatte. Sich in gewisser Weise angeeignet hatte: jede Ecke jedes Bahnsteigs, jede Sichtlinie, viele Schlüssel, Abstellräume, Schränke – ein Theater für Auftritte und Abtritte. Er hätte Karten zeichnen und Pläne aufstellen können, aber plötzlich glaubte er nicht mehr daran. Wie er nicht mehr an die russischen Stimmen auf seinem Sony-Plasmabildschirm glaubte, an der Wand des Zimmers, das ihm nicht mehr gehörte.
    »Ich bin Hollis«, sagte die Frau und streckte ihm die Hand entgegen. »Garreth hat gesagt, du heißt Tito.«
    Sie sah gut aus, diese Frau, auf eine angenehm schlichte Art. Wenn er sie so ansah, verstand er, warum von ihr Poster gedruckt wurden. »Sind Sie mit Bobby befreundet?« fragte er.
    »Ich kenne ihn nicht sehr gut«, sagte sie. »Kennst du Garreth schon lange?«
    Tito sah zu Garreth hinüber, der ein Stück Fußboden saubergekehrt und sich bis auf die schwarze Unterhose und das T-Shirt ausgezogen hatte und jetzt Asanas machte. »Nein«, antwortete er.
    Der Alte las Online-Nachrichten an einem von Bobbys Computern.
    Tito und Bobby hatten die anderen Sachen bereits nach unten getragen. Den langen grauen Koffer, eine Aluminium-Klappkarre mit darauf geschnallten Expandern, ein schwarzes Kamerastativ und eine schwere Tasche aus Segeltuch.
    »Wir gehen jetzt«, sagte Garreth.
    Der Alte schüttelte erst Tito die Hand, dann Garreth. Dann hielt er auch der Frau die Hand hin: »Ich bin sehr erfreut über unser Abkommen, Miss Henry.« Sie gab ihm die Hand, sagte aber nichts.
    Tito war unter Jacke und Sweatshirt von der Taille bis zu den Achseln in zwanzig Meter schwarzes Kletterseil gewickelt, die Hochenergie-Magnete steckten vorn in seinen Jeans, die schwarze Atemmaske sah aus einer Seitentasche der grünen Jacke hervor. Mit dem gelben Helm unter dem Arm ging er voraus nach unten.

73. SPEZIALEINHEIT
    Nachts in einem Transporter mit zwei Männern und Ausrüstung an einen ihr unbekannten Ort zu fahren, erinnerte sie an die Anfangszeiten von The Curfew . Fehlte nur noch Heidi Hyde. Die immer selbst fahren wollte und, wenn nötig, auch noch das Aus- und Einladen allein erledigen konnte.
    Jetzt fuhr Garreth. Mit exakt fünfzig Stundenkilometern durch diesen abgewirtschafteten Industriekorridor. Bremste umsichtig. Beschleunigte gleichmäßig. Sein vorbildlicher Fahrstil lieferte nicht den geringsten Anlass, ihn herauszuwinken.
    Tito hinten saß so weit wie möglich von dem Plastikkoffer entfernt. Mit weißen iPod-Kopfhörern in den

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