Quelle des Unheils
betrachtete Alex voll konzentriert, als wolle er sich ihr Gesicht einprägen. »Es ist uns allen eine große Freude, deine Bekanntschaft zu machen, Alex Fielding. Und nun, immer vorausgesetzt, dass Miss Fielding nichts dagegen hat, würde ich gerne denjenigen, die es hören wollen, ein paar Dinge über Marble Bay High erzählen, die euer - und mein - erstes Halbjahr hier vielleicht etwas angenehmer machen werden.« Endlich setzte Madison sich wieder hin. »Wow, dich so anzugehen ... Was für ein alter Meckerfritze!«, sagte sie, ein bisschen zu laut.
Alex war total genervt von dem Geschwätz dieser Madison. Ihr einziger Trost war, dass sie neben Cade saß. Während die Einführungsveranstaltung ihren schleppenden Lauf nahm, atmete sie seinen süßen Seifenduft ein, der mit dem salzigen Geruch von Leder gewürzt war. Wie hatte sie nur glauben können, dass er irgendein merkwürdiges Geheimnis verbarg? Jetzt erschien er ihr so völlig offen.
Mr Shnorer hätte ebenso gut Schnarcher heißen können, dachte sie. Seine langweilige Stimme machte sie plötzlich angenehm schläfrig. In der stickigen Aula schloss sie einen Moment lang die Augen. Und hörte: das schreckliche Quietschen von Reifen. Zwei Stimmen, beide weiblich, gellend vor Entsetzen, atemlos: »Nein!« Dann, und das war das Allerschlimmste, vernahm sie einen dumpfen Aufprall.
Um wieder Halt zu gewinnen, umklammerte Alex die hölzernen Lehnen ihres Sitzes. Stattdessen fanden ihre Hände zwei Arme, einen von Cade und einen von Madison - und einer davon versetzte ihr einen elektrischen Schlag, einen Funkenstrom. Es war das gleiche durchdringende Kribbeln, das sie verspürt hatte, als sie zum ersten Mal mit Docs Ärmel in Berührung gekommen war, kürzlich, als es um die Suche nach dem verschwundenen Pop-Star Maddie Cooper ging, und wo er die Rolle eines Polizeibeamten spielte, an der Seite seiner schönen blonden Kollegin Ileana.
Alex öffnete ruckartig die Augen. Wessen Arm hatte ihr den Schlag versetzt - Cades oder Madisons? Wessen Ärmel oder Hand hatte sie versehentlich berührt ?
Sie blickte auf die Armlehnen zu beiden Seiten ihres Sitzes. Sie waren leer. Sowohl Cade als auch Madison klatschten Mr Shnorer lustlos Beifall.
Am Nachmittag saß Alex im Klassenzimmer und lauschte der monotonen Stimme des untersetzten Englischlehrers, Mr Shnorer.
Dylan, der genau hinter ihr saß, steckte ihr einen Zettel zu. Du hattest Recht, stand da drauf, der Typ ist wirklich totenöde.
Obschon Dyl zehn Monate jünger war als Camryn, hatte Emily Barnes, seine Mutter, gewollt, dass alle ihre Zöglinge in die gleiche Stufe kommen würden. So ging Cams Bruder also ebenfalls in die zehnte Klasse, was hinsichtlich seiner Leistungen auch gerechtfertigt war ...
Das hast du echt gut gemacht, Emily Barnes, dachte Alex, die dankbar war, dass ein bekanntes Gesicht in ihrem Englischkurs saß.
Der Lehrer trommelte wieder mit einem seiner Stifte herum, diesmal gegen seine Wange - was Alex beinahe so nervte wie die Tatsache, dass er im Prinzip gar keinen Unterricht abhielt. Er trug nur schleppend eine leicht abgeänderte Version seiner Einführungsrede vor. Das war doppelt ätzend, denn zum einen hatte Alex wie auch einige andere den langweiligen Vortrag schließlich schon einmal über sich ergehen lassen und zum anderen war Englisch eines ihrer Lieblingsfächer, ein Kurs, auf den sie sich immer gefreut hatte.
Statt einer Antwort kritzelte sie auf den Zettel Was hältst du eigentlich von Cade? und reichte ihn Dylan wieder zurück. Er beugte sich vor und flüsterte: »Welcher Cade?« Alex wandte sich um und verdrehte die Augen. »Der Typ in der Lederjacke. Von heute Morgen?«
»Der Knacki?«, fragte Dylan. Alex seufzte. »Was? Wovon redest du?«
»Du meinst doch den Typ, der dir angeboten hat, dein Zahlenschloss zu knacken, oder?«
»Schon gut!« Beleidigt drehte sich Alex wieder zur Tafel. Etwas schwirrte auf einmal über ihren Kopf und traf hinter Dylan auf die Wand. »Ach je«, sagte Mr Shnorer, »manche dieser Stifte sind einfach nicht flugfähig.«
Alex konnte es nicht fassen. Der Typ hatte nach ihnen geworfen! Einige der Schüler lachten, die anderen schnappten nach Luft und funkelten den Lehrer an.
»Möchtest du uns allen gerne mitteilen, was ihr so Wichtiges zu besprechen habt, Alex?« Er zog einen weiteren Stift aus seiner Tasche und begann, damit gegen seine Handfläche zu klopfen. Kochend vor Wut schüttelte sie den Kopf. »Steh bitte mal auf«, befahl Mr Shnorer.
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