Quellen Der Lust
die Freundschaft zum Prinzen nicht eingehen.“ Allein bei dem Gedanken daran sah der Lord schockiert aus. „Der Prinz hat die unumstößliche und kluge Entscheidung getroffen, lediglich Zeit mit Damen zu verbringen, deren Gatten für sie sorgen werden, wenn er die enge Freundschaft beenden muss.“ Er zog ein Taschentuch aus seiner Hose und fuhr sich über die feuchten Lippen.
„Das ist doch absurd.“ Sie blickte hinüber zu St. Lawrence, der Marchant nun zu Hilfe kam.
„Darf ich offen mit Ihnen reden?“ Er sah aus, als habe er gerade in eine saure Zitrone gebissen. „Eine solche Beziehung kann gewisse Folgen haben. Der Prinz hat dies bisher vermeiden können, und er ist entschlossen, dass jegliche ‚Folgen‘, die seinen engen Freundinnen entstünden, einen eigenen Vater haben. Als zukünftiges Oberhaupt der anglikanischen Kirche käme ein anderes Verhalten für ihn nicht infrage.“
Mariah fühlte, wie ihr das Blut, das ihr eben ins Gesicht gestiegen war, nun aus den Wangen wich. Folgen : eine höfliche Umschreibung für Kinder . Der Prinz wollte keine königlichen Bastarde hinter sich lassen. Wie umsichtig von ihm, dachte sie wütend, seine zukünftigen Aufgaben so ernst zu nehmen wie seine Vergnügungen. Er hatte keine Skrupel, von Bett zu Bett zu hüpfen, trotzdem bestand er darauf, dass die natürlichen Folgen dieser Liebschaften ihm nicht angelastet werden konnten.
„Warum um alles in der Welt würde ich einem wildfremden Mann die Treue schwören und ihn daraufhin mit dem Prinzen betrügen?“ Mariah hielt sich an der Tischkante fest.
„Weil es notwendig ist“, sagte Jack angespannt. „Und Sie, Mrs. Eller, kommen mir vor wie eine Frau, die eine Notwendigkeit erkennen und sie zu ihrem Vorteil nutzen kann.“
Sie fühlte sich, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst. Jäh stand sie auf und ging hinüber zu den großen Fenstern, die den Hof überblickten. Das war also die Einschätzung, die man sich von ihr gemacht hatte. Gerissen. Durchtrieben. Praktischerweise ganz ohne moralische Bedenken.
Die Schlinge, die sich um sie gelegt hatte, drohte sie nun zu ersticken. Sie war eine Frau, deren Verhalten Anlass zu gewissen Spekulationen und Annahmen gegeben hatte. Eine Frau, die von keinem Mann „beschützt“ wurde. Eine Frau, die man sich aneignen, benutzen und wegwerfen konnte wie ein Paar aus der Mode geratener Hosen. Und falls sie sich weigern sollte, sich den Regeln zu beugen, konnte man – ohne noch einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden – ihr unbedeutendes Leben ruinieren. Diese Bedingungen zu akzeptieren, würde bedeuten, dass sie für das kurzlebige Vergnügen des Prinzen bezahlen würde – und zwar mit den lebenslangen Fesseln einer ungewollten Ehe.
Und das alles, weil der Prinz Gefallen an ihr gefunden hatte.
Zornig drehte sie sich zu ihren Besuchern um. Der Lord hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und Jack St. Lawrence drehte eine leere Tasse in seinen Händen. Skrupel angesichts ihres unmoralischen Angebots schien keiner der beiden zu haben.
Plötzlich durchzuckte sie ein neuer Gedanke: Falls sie keinen neuen Ehemann finden könnte, müsste der Prinz die Idee aufgeben, sie zu seiner Geliebten zu machen.
„Meine Herren, ich fürchte, wir stecken in einem Dilemma. Ich kenne keinen Mann, der dazu bereit wäre, mich zu heiraten und mich dann für eine Weile an den Prinzen auszuleihen.“
„Das glaube ich Ihnen gerne.“ Marchant sah selbstgefälliger aus denn je. „Wir dagegen kennen einige.“
Ihr verschlug es die Sprache. In der darauffolgenden Stille wurde ihr klar, dass sie sich auf weitere Enthüllungen gefasst machen musste. Mit jeder neuen Forderung wurde ihr langsam jeglicher Ausweg versperrt.
„Wie wir schon sagten, ist der Prinz äußerst großzügig“, fuhr der Baron fort. „Zahlreiche Männer seiner Bekanntschaft würden ihm gerne einen solchen Freundschaftsdienst erweisen.“
„Und um was für eine Sorte Männer könnte es sich dabei wohl handeln? Geistesgestörte? Tunichtgute? Geizhälse, die für einen Gewinn ihre Großmutter verkaufen würden?“
„Ich versichere Ihnen, Mrs. Eller“, Marchant stand auf und setzte ein so aufrichtiges Gesicht auf, wie es einem Wiesel eben möglich ist, „dass es sich bei sämtlichen Männern auf St. Lawrence’ Liste um perfekte Gentlemen handelt.“
Sie sah hinüber zum flinken Jack, der einen Umschlag aus der Rocktasche zog und ihn auf den Tisch legte. Dieser Schuft! Er war diesen Morgen mit einer
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