Quellen innerer Kraft
der sieht die Dinge nicht so, wie sie sind. Das Trinken aus der Quelle des Heiligen Geistes verleiht uns klare Augen, die die Wirklichkeit unverhüllt zu sehen vermögen. Schiloach – so sagt uns Johannes – heißt „der Gesandte.“ (Joh 9,7) Der Teich weist also auf Jesus, den Gesandten Gottes hin. Jesus heilt dort einen Blindgeborenen. Er spuckt auf die Erde, machtmit seinem Speichel einen Teig und streicht ihn dem Blinden auf die Augen. Und dann gibt er ihm den Befehl: „Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach!“ (Joh 9,7) Als er sich wäscht, wird er sehend. Jesus konfrontiert den Blinden also zuerst mit seiner Wahrheit. Er weist ihn darauf hin, dass er von der Erde genommen ist und dass er auch Schmutz in sich hat. Die Augen, die bisher verschlossen waren, bestreicht er mit Dreck und verschließt sie auf diese Weise noch mehr. Der Blinde soll nach innen sehen und dort seine wahre Gestalt entdecken. Erst dann befiehlt Jesus dem Mann, sich zu waschen. Er soll sich all die Trübungen abwaschen, die sein wahres Wesen verstellen und sich von dem Schmutz reinigen, der ihn von seiner inneren Quelle abschneidet. Manchmal können Menschen nach einer Therapie tatsächlich, auch im buchstäblichen Sinne, besser sehen. Ein kurzsichtiger Mann brauchte auf einmal keine Brille mehr. Weil er in der Therapie den Mut fand, seiner eigenen Wahrheit ins Auge zu sehen, vermochte er auch die Wirklichkeit wieder ohne Eintrübungen zu schauen.
Die Quelle – so zeigen uns die beiden Geschichten – hat fünf Bedeutungen. Sie erfrischt, sie reinigt und heilt. Und sie befruchtet und stärkt:
Die Quelle des Heiligen Geistes erfrischt: Wer aus ihr schöpft, der macht einen frischen Eindruck. Die Gedanken, die er äußert, sind nicht abgestanden, sondern neu. Von einem solchen Menschen gehen neue Ideen aus.
Die Quelle des Heiligen Geistes reinigt: Viele fühlen sich heute innerlich verschmutzt. In der Arbeit mit anderen Menschen bekommen wir immer wieder auch die unklaren und getrübten Emotionen aus unserer Umgebung mit. Wir leiden unter emotionaler Umweltverschmutzung. Da sehnen wir unsnach der Reinigung durch die klare Quelle des Heiligen Geistes. Das ursprüngliche und unverfälschte Bild, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat, ist getrübt durch die vielen Bilder, die andere uns über gestülpt haben. Die Erinnerung an die innere Quelle des Heiligen Geistes kann uns helfen, uns von diesen Trübungen immer wieder zu befreien, damit das ungetrübte und reine Bild Gottes in uns aufleuchtet.
Aber auch Heilung geschieht, wie die beiden Geschichten des Johannesevangeliums zeigen. Geistliche Begleitung ist nach meinem Verständnis und nach meiner Erfahrung genau dies: den Menschen mit seiner inneren Quelle in Berührung zu bringen. Wenn das gelingt, dann entsteht oft Heilung. Dann verlieren die seelische Verletzungen an Macht. Das erfrischende und heilende Quellwasser durchströmt die Wunden, reinigt und heilt sie. C.G. Jung hat die Erfahrung gemacht, dass der Mensch erst wirklich geheilt wird, wenn er mit dem Numinosen in Berührung kommt. Eine wirksame Heilung bedarf der heilenden Quelle. In uns ist diese heilende Energie. Sie ist uns von Gott geschenkt. Jesus heilt die Menschen, indem er sie mit dieser inneren Quelle in Berührung bringt. Die Pfingstsequenz betet daher auch: „Heile, was verwundet ist.“ Der Heilige Geist, den wir in unserem Atem spüren können, ist eine heilende Kraft. Wenn wir sie im Atem in unsere Wunden strömen lassen, dann dürfen wir vertrauen, dass sie geheilt werden. Die Wunden verschwinden nicht einfach, aber der Heilige Geist ist wie ein Öl, das den Schmerz lindert und dessen heilende Kraft dem verletzten Menschen gut tut.
Und schließlich: Die Quelle des Heiligen Geistes befruchtet. Viele machen immer wieder die schmerzliche Erfahrung: Sie erleben sich und ihr Leben wie eine unfruchtbare Wüste. Es blüht nichts auf. Alles ist leer, ausgebrannt, vertrocknet.Sie haben keine zündenden Ideen. Sie machen ihre Arbeit, aber sie sind nicht kreativ. Von ihnen geht nichts aus, was diese Welt befruchtet. Als Alfred Delp im Jahre 1944 im Gefängnis über die Pfingstsequenz meditierte, hatte er den Eindruck, dass die damalige Zeit eine unfruchtbare Zeit war. Er meinte, es gebe ganze Generationen, denen nichts „Gescheites“ mehr einfalle. Was Alfred Delp vor über 60 Jahren spürte, das gilt heute noch viel mehr. Trotz aller Erfindungen und technischer Neuentwicklungen scheint unsere Zeit die
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