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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Holbein Gate, dessen mittelalterliche Schlosstürme hoch über ihre Köpfe ragten; zu ihrer Linken noch immer das im Stil der italienischen Renaissance gehaltene Banqueting House; und diesem gegenüber die mit Schießscharten versehene und ansonsten undurchbrochene Steinmauer, die noch am ehesten dem entsprach, was man als eigenständigen architektonischen Stil der Puritaner bezeichnen könnte.
    Das Holbein Gate führte auf die King Street, und diese wiederum würde sie zu einer Art Pied-à-terre bringen, das Pepys in diesem Viertel besaß. Doch stattdessen manövrierte der Kutscher sein Gespann in eine diffizile Abzweigung nach links und sodann in eine dunkle, abwärts führende Durchfahrt, die kaum breiter war als die Kutsche selbst und hinter dem Banqueting House in Richtung Fluss verlief.
    Nun konnte jeder Engländer in anständiger Kleidung in Whitehall Palace fast überall hingehen, selbst durch das Vorzimmer des Königs – eine Praxis, die nach Meinung des europäischen Adels über Vulgarität weit hinausging und schon tief im Reich des Bizarren anzusiedeln war. Dennoch war Daniel diesen Engpass, der ihm immer als unpassender Ort für einen jungen Puritaner erschienen war, nie hinabgegangen – er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Ausgang gab, und stellte sich immer vor, dass Leute wie der Earl von Upnor dorthin gingen, um sich an Dienstmägden zu vergreifen oder Degenduelle auszutragen.
    An der rechten Seite entlang verlief die Privy Gallery. Nun war eine Galerie streng genommen nichts weiter als ein Gang – in diesem Falle einer, der direkt in jene Teile von Whitehall führte, wo der König selbst residierte, mit seinen Mätressen tändelte und mit seinen Beratern zusammenkam. Aber wie sich die London Bridge im Laufe der Zeit mit Häusern und Läden von Kurzwarenhändlern, Handschuhmachern, Tuchverkäufern und Gastwirten überzogen hatte, so hatte sich der Privy Gallery, obwohl sie noch immer eine leere Röhre war, eine unregelmäßige Kruste aus alten Gebäuden angelagert – hauptsächlich Wohnungen, die der König jeweils den Höflingen und Mätressen zusprach, die gerade in seiner Gunst standen. Sie verdichteten sich zu einem Schattenbollwerk rechts von Daniel und wirkten wegen ihrer Vielzahl und ihrer wirren Anlage viel größer, als sie in Wirklichkeit waren – so wie ein Froschkadaver, der in eine Tasche passen kann, dem jungen Naturphilosophen, der ihn sezieren und seine diversen Teile inventarisieren möchte, riesengroß erscheint.
    Mehrfach wurde Daniel aus hoch gelegenen, kerzenerleuchteten Fenstern mit Lachsalven überfallen: Es klang nach kultiviertem, grausamem Gelächter. Die Durchfahrt erreichte nach einer Biegung schließlich den Punkt, wo Daniel ihr Ende sehen konnte. Augenscheinlich mündete sie in einen kleinen, kiesbestreuten Hof, den er vom Hörensagen kannte: Theoretisch hörte sich der König an den Fenstern diverser Gemächer und Salons, die auf diesen Hof gingen, Predigten an. Doch ehe sie den heiligen Ort erreichten, zügelte der Kutscher sein Gespann, und die Kutsche hielt an. Daniel fragte sich nach dem Grund und blickte sich um, sah aber nichts weiter als eine Steintreppe, die in ein Gewölbe oder einen Tunnel unter der Privy Gallery führte.
    Pepys, Comstock, der Bischof von Chester und Enoch der Rote stiegen aus. Unten in dem Tunnel wurden nun Lichter entzündet. Infolgedessen konnte Daniel durch ein offenes Fenster eine gedeckte Tafel sehen: eine Hammelkeule, ein Rad Cheshire-Käse, eine Schüssel mit Lerchen, Ale, chinesische Orangen. Aber dieser Raum war kein Speisesaal. In den Ecken konnte er das Schimmern von Retorten, Quecksilberfläschchen und Feinwaagen, die Glut von Schmelzöfen sehen. Er hatte Gerüchte gehört, der König habe sich in den Eingeweiden von Whitehall ein alchimistisches Laboratorium bauen lassen, aber bis jetzt waren es nur Gerüchte gewesen.
    »Mein Kutscher wird Euch zu Mr. Raleigh Waterhouse’ Haus zurückfahren«, sagte Pepys, der auf der obersten Treppenstufe stehen geblieben war, zu ihm. »Bitte macht es Euch unten bequem.«
    »Ihr seid sehr freundlich, Sir, aber bis zu Raleigh ist es nicht weit, und der Spaziergang wird mir gut tun.«
    »Wie Ihr wollt. Bitte grüßt Mr. Oldenburg von mir, wenn Ihr ihn seht.«
    »Es wird mir eine Ehre sein«, antwortete Daniel und konnte es sich eben noch verkneifen, Und bitte grüßt den König von mir! zu sagen.
    Nun nahm er seinen Mut zusammen, ging hinab in den Sermon Court, den

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