Quicksilver
Ziegenlederhandschuhe Tränen der Heiterkeit aus den Augen wischten – ihre Spitzentaschentücher hatten sie bereits der Herzogin zur Verfügung gestellt.
Unterdessen brachte der baretttragende Schießpulvermagnat John Comstock – der den Bemühungen der Herzogin, die französische Mode am englischen Hof einzuführen, seit langem entgegenarbeitete – ein dünnes, merkwürdig gequältes Lächeln zustande. Der König – der, jedenfalls bis heute Abend, normalerweise Comstocks Partei ergriffen hatte – lächelte, und die Angleseys amüsierten sich allesamt prächtig.
Ein Ellbogen in die Niere zwang Daniel, den Blick von den Bemühungen der Herzogin, ihr Mieder zu sprengen, ab- und seine Aufmerksamkeit dem vergleichsweise reizloseren Anblick Oldenburgs zuzuwenden, der neben ihm saß. Der kräftig gebaute Deutsche war ebenso rasch und unerklärlicherweise aus dem Tower entlassen worden, wie man ihn hineingesteckt hatte. Er warf einen kurzen Blick zum anderen Ende von Neville’s Court hinüber und fragte Daniel mit ungehaltener Miene: »Wo steckt er? Oder wenigstens sie!« Womit er Isaac Newton bzw. dessen Abhandlung über Tangenten meinte. Dann wandte sich Oldenburg in die andere Richtung und lugte am Rand seines Baretts vorbei zur Loge der Angleseys hinauf, wo Louis Anglesey, der Earl von Upnor, seine Heiterkeit irgendwie bemeistert hatte und Oldenburg einen vielsagenden Blick zuwarf.
Daniel war froh, einen Vorwand zum Gehen zu haben. Das ganze Stück hindurch hatte er sich wieder und wieder bemüht, seine Ungläubigkeit abzustellen, aber es gelang ihm einfach nicht. Er stand auf, raffte seinen Talar und ging seitlich eine Stuhlreihe entlang, wobei er auf diverse Füße der Royal Society trat. Sir Winston Churchill: Ein Hurra auf die Glanztaten Eures Sohnes bei Maastricht, alter Junge. Christopher Wren: Bauen wir endlich die Kathedrale, Schluss mit dem Getrödel! Sir Robert Moray: Wir wollen etwas essen und über Aale reden. Hooke hatte Gott sei Dank die Kühnheit besessen fernzubleiben – er war zu sehr mit dem Wiederaufbau Londons beschäftigt -, sodass Daniel ihm nicht auf irgendwelche Körperteile treten musste. Schließlich stand Daniel auf offenem Gras. Eigentlich war das eine Angelegenheit für John Wilkins – aber der Bischof von Chester lag in London zu Bett und litt am Stein.
Daniel suchte sich einen Weg hinter die Bühne und fand sich zwischen mehreren Wagen wieder, mit denen man geheimnisvolles Theaterzubehör aus London herangeschafft hatte. Man hatte Markisen daran aufgebaut und dazwischen Zelte aufgeschlagen, sodass sich durch die Dunkelheit Zeltschnüre spannten, dick wie Schiffstaue und um splittrige Holzpflöcke geknotet, die in den (jedenfalls bis zum Erscheinen der Schauspieler) makellosen Rasen getrieben waren. An den Seilen baumelten verschiedene Kleidungsstücke, bei denen es sich seiner Vermutung nach nur um Damenunterwäsche handeln konnte (es waren eindeutig Kleidungsstücke, aber er hatte dergleichen noch nie gesehen – Q.E.D.) und die ihn dann und wann heftig zusammenfahren ließen, wenn sie feuchtkalt nach seinem Gesicht grabschten. Um dem Gewirr zu entgehen, musste er einen gewundenen Kurs bestimmen und diesem langsam folgen. Deshalb war es wirklich – wirklich - reiner Zufall, dass er auf die zwei Schauspielerinnen stieß, die taten, was immer Frauen tun, wenn sie sich entschuldigen, warme, wissende Blicke wechseln und sich paarweise entfernen. Das Ende bekam er noch mit: »Und was mache ich mit dem alten?«, fragte eine junge Dame mit wunderschöner Stimme und einem Akzent aus einem Teil Englands, in dem es zu viele Schafe gab.
»Wirf ihn zwischen die Zuschauer – lös einen Aufruhr aus«, schlug die andere – eine Irin – vor.
Dies rief hämisches Gejohle hervor. Offenbar hatte den beiden niemand beigebracht, wie man kicherte.
»Aber die wüssten doch nicht mal, was das ist«, sagte das Mädchen mit der schönen Stimme, »wir sind die ersten Frauen, die je einen Fuß an diesen Ort gesetzt haben.«
»Dann wird es auch keiner wissen, wenn du ihn einfach da liegen lässt, wo er liegt«, antwortete die Irin.
Die andere ließ ihren ländlichen Akzent fallen und begann exakt so zu reden wie ein Cambridge-Gelehrter aus guter Familie: »Nanu, was liegt denn da auf meinem Bowling Green? Hat ganz den Anschein, als wäre es... ein Fuchsköder!«
Neuerliches Gejohle – unterbrochen von einer Männerstimme aus einem der Wagen hinter der Bühne: »Tess – heb dir was davon für
Weitere Kostenlose Bücher