Quicksilver
die Köpfe ab. Falls Daniel (oder statt seiner irgendein anderer Gelehrter) Lust verspürt hätte, sofort zu sterben, hätte er an dieser Stelle aufspringen und rufen können: »Jedenfalls hat er es schließlich geschafft, einen legitimen männlichen Erben zu zeugen!«, aber dazu kam es nicht.
Mehrere Pokale später stellte der König Überlegungen darüber an, was für ein schöner, großartiger und (um ganz offen zu sein) reicher Ort das Trinity College und wie bemerkenswert es sei, dass Heinrich VIII. solches nur dadurch geschafft habe, dass er dem Papst trotzte und ein paar Klöster plünderte. So würde aus dem Säckel der Puritaner, Quäker, Barker und Presbyterianer eines Tages vielleicht ein noch schöneres College finanziert! Das war natürlich scherzhaft gemeint – er setzte sogleich hinzu, dass er selbstverständlich von freiwilligen Spenden spreche. Trotzdem machte es die Dissenter im Saal sehr wütend – allerdings (wie Daniel später überlegte) auch nicht wütender, als sie es ohnehin schon gewesen waren. Außerdem war es ein meisterhafter Seitenhieb gegen die Katholiken. Mit anderen Worten, alles gekonnt darauf angelegt, den anwesenden Anglikanern der Hochkirche (wie etwa John Comstock) das Herz zu wärmen und ihre Ängste zu nehmen. Der König musste dergleichen oft tun, weil viele meinten, er gehe mit den Katholiken zu sanft um, und einige sogar glaubten, er wäre selbst einer.
Mit anderen Worten, vielleicht hatte Daniel soeben ein kleines Stückchen Hofpolitik miterlebt, und es war nichts Bedeutsames geschehen. Aber seit John Wilkins die Fähigkeit zu urinieren eingebüßt hatte, war es Daniels Aufgabe, aufzupassen und ihm das alles später zu berichten.
Dann ging es zur Kapelle, wo der Herzog von Monmouth, mittlerweile ein Kriegsheld und außerdem ein renommierter Gelehrter und illegitimer Sohn, als Kanzler der Universität eingesetzt wurde. Und danach gab es dann endlich die Komödie im Neville’s Court.
Daniel blieb in der Mitte eines gotischen Bogens stehen und blickte hinaus auf eine breite Steintreppe, die in den Great Court des Trinity College hinabführte: ein Areal, etwa viermal so groß wie der Neville’s Court. Auf seltsame Weise erinnerte es ihn an die Börse in London, nur dass jene ein dem Tageslicht vorbehaltener Ort war, funkelnd von Thomas Greshams goldenen Grashüpfern und springenden Quecksilberstücken und erfüllt vom kräftigen Geschrei der Händler, während dieser Ort hier äußerst unheimlich anmutete, übergossen vom schwachen blauen Licht eines Halbmondes und spärlich bevölkert von Männern in Talaren und/oder üppigen Perücken, die sich in Zweier- oder Dreiergrüppchen auf den Pfaden oder in dunklen Ecken herumdrückten. Und während die Börsenleute gemeinsame Sache darin machten, Anteile an Segelschiffen oder Aktiengesellschaften zu kaufen, oder Zucker aus Jamaika gegen spanisches Silber einhandelten, setzten diese Männer diverse kleine Verschwörungen ins Werk oder tauschten Bruchstücke höfischer Informationen. Vom Hof nach Cambridge zu kommen war wie ein Besuch des Jahrmarkts von Stourbridge – eine ab und zu sich bietende Gelegenheit für bestimmte Arten von Geschäften, die größtenteils in gewissem Sinne okkulter Natur waren. Wenn er einfach über den Great Court direkt zum Tor ging, konnte er keine Schwierigkeiten bekommen. Als Fellow durfte er den Rasen betreten. Die meisten der Umherschleichenden und schlendernden durften nicht. Nicht, dass sie sich um die pedantischen Vorschriften des College geschert hätten, aber die meisten zogen Schattenzonen vor, besaßen die natürliche Affinität des Höflings zu Winkeln und Nischen. Daniel schritt über breiten, offenen Raum, damit man ihn nicht der Lauscherei bezichtigen konnte. Zöge man von der Stelle, wo er hereingekommen war, eine Linie bis zum Tor, so würde sie genau durch eine Art Laube in der Mitte des Hofes führen: ein achteckiges Bauwerk auf einem stufigen Sockel, mit einem pokalförmigen Brunnen in der Mitte. Das schräg zwischen den Säulen einfallende Mondlicht verlieh ihm ein unheimliches Aussehen – der Stein fahl wie das Fleisch eines Toten, überzogen von Blutrinnsalen aus durchbohrten Arterien. Es musste sich, vermutete Daniel, um so etwas wie eine Vision im papistischen Stil handeln, und er wollte gerade die Hände heben, um sie nach Stigmata abzusuchen, da roch er etwas und entsann sich, dass man das Wasser aus dem Brunnen abgelassen und ihn zu Ehren des Königs und des neuen
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