Quicksilver
den König auf – du wirst auf der Bühne verlangt.«
Die Mädchen lüpften die Röcke und gingen ab. Daniel erblickte sie flüchtig, als sie eine Lücke zwischen zwei Zelten querten, und erkannte die mit dem Namen Tess von der »Belagerung von Maastricht« wieder. Es war diejenige, die er für eine Französin gehalten hatte, und zwar schlicht deshalb, weil er sie so hatte reden hören. Nun begriff er, dass es sich in Wirklichkeit um eine Engländerin handelte, die reden konnte, wie auch immer sie Lust hatte. Da sie berufsmäßige Schauspielerin war, hätte das eigentlich auf der Hand liegen müssen, aber für ihn war es neu, und es machte sie interessant.
Daniel trat hinter dem Zelt hervor, wo er (man kann ruhig sagen) gelauert hatte und näherte sich – ausschließlich im Geiste philosophischen Forscherdrangs – der Stelle, wo Tess mit der schönen Stimme und den vielen Akzenten (man kann ruhig sagen) gehockt hatte.
In einer Art Mörteltrog, der über die Bühne ragte, wurde erneut etwas Schießpulver gezündet, um Blitzschlag zu simulieren, und erzeugte einen Moment lang einen gelben Lichttümpel vor Daniel. Genau in der Mitte eines Grasbüschels – Gras, das wegen des Frühlings beinahe phosphorgrün war – lag, noch dampfend von Tess’ Wärme, ein zusammengeknüllter Lappen, hell von Blut.
Kein Wunder, wenn der Alchimiste selbst, Aus rußigem Kohlenfeuer es versteht Oder für möglich achtet, die Metalle Von gröbstem Erz in reines Gold zu wandeln, Wie es die Grube fördert.
Milton, Das verlorene Paradies
Der König hatte einen ausgefüllten Tag gehabt. Vielleicht war diese Vorstellung aber auch naiv von Daniel – es war wohl eher ein typischer Tag für den König gewesen, und die Einzigen, die sich erschöpft fühlten, waren die Einwohner von Cambridge, die versucht hatten, den Anschein zu wahren, sie könnten mit ihm Schritt halten. Am Vormittag war die Entourage am südlichen Horizont aufgetaucht, und sie glich (vermutete Daniel) ein wenig dem Invasionsheer, mit dem Ludwig XIV. kürzlich die Holländische Republik heimgesucht hatte: d.h. sie donnerte, warf Staubwolken auf, verzehrte Hafer und ließ Wälle aus Pferdemist zurück wie jedes Regiment, aber ihre Wagen waren allesamt vergoldet, ihre Krieger waren mit edelsteinbesetzten italienischen Rapieren bewaffnet, ihre Feldmarschälle trugen Röcke und kommandierten oder verdammten Männer mit Blicken – das Ganze zeitigte jedenfalls mehr Wirkung, als König Ludwig bisher in den Niederlanden hatte erzielen können. Die Stadt geriet aus den Fugen, löste sich auf. Überall Busen, Höflinge, die sich mit nacktem Hintern aus Fenstern hangelten, der gute Moor- und Grasgeruch der Stadt überdeckt von Parfümen nicht nur aus Paris, sondern aus Arabien und Radschastan. Der König war aus seiner Kutsche ausgestiegen und hatte, durch die Straßen marschierend, den Jubel der Gelehrten von Cambridge entgegengenommen, die, in Talar und nach Rang und Grad formiert, vor ihren jeweiligen Colleges Aufstellung genommen hatten wie zum Appell angetretene Soldaten. Er war offiziell vom scheidenden Kanzler begrüßt worden, der ihm eine riesige Bibel überreicht hatte – es hieß, man habe noch aus einer halben Meile Entfernung das königliche Naserümpfen und Augenverdrehen gesehen. Später hatte der König (samt seinem Rudel schwachsinniger Spaniels) am Hohen Tisch des College of the Holy and Undivided Trinity, unter dem großen Holbein-Porträt des College-Gründers, König Heinrichs VIII., gespeist. Als Fellows waren Daniel und Isaac es gewöhnt, am Hohen Tisch zu sitzen, doch die Stadt wimmelte im Augenblick von Ranghöheren, deshalb hatte man sie ein ganzes Stück weit in den Saal zurückgestuft. Isaac in seinem scharlachroten Talar unterhielt sich mit Boyle und Locke, und Daniel hatte man in eine Ecke zu mehreren Vikaren gesteckt, die einander – im Widerspruch zu gewissen biblischen Richtlinien – eindeutig nicht liebten. Daniel versuchte, ihr streitsüchtiges Geblaffe auszublenden und ein paar Gesprächsbrocken vom Hohen Tisch aufzuschnappen. Der König hatte eine Menge über Heinrich VIII. zu sagen, alles offenbar ziemlich spaßig.
Zuerst ging es um Old Hanks Handhabung der Polygamie: so tollpatschig, dass es schon wieder komisch war. Natürlich wurde das alles in königlichen Witz gehüllt – im Grunde rückte er nicht direkt damit heraus, aber es schien auf Folgendes hinauszulaufen: Warum nennt man mich einen Libertin? Immerhin hacke ich ihnen nicht
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