Quicksilver
in Lincolnshire, die Enochs Ankunft verschlafen hatten, erwachten und begannen Clarkes Darbietung zu feiern.
Die Sonne wälzte sich schon seit Stunden den Horizont entlang wie ein dicker Wasservogel, der Anlauf nimmt, um sich in die Lüfte zu erheben. Noch ehe der Tag richtig angebrochen war, stand Enoch im Laden des Apothekers und braute aus gekochtem Wasser und einem exotischen asiatischen Kraut ein Getränk. »Nehmt so viel, wie in Eure hohle Hand passt, und werft es hinein -«
»Das Wasser wird schon braun!«
»- nehmt es vom Feuer, oder es wird unerträglich bitter. Ich brauche ein Sieb.«
»Ihr wollt doch nicht andeuten, dass ich davon kosten soll?«
»Nicht bloß kosten, sondern trinken. Schaut nicht wie ein zum Tode Verurteilter drein. Ich tue es seit Monaten ohne Nachwirkungen.«
»Außer dass Ihr süchtig danach geworden seid, wie es scheint.«
»Ihr seid zu misstrauisch. Die Maharatten trinken nichts anderes.«
»Also habe ich Recht, was die Sucht angeht!«
»Es ist nichts weiter als ein mildes Stimulans.«
»Mmm... gar nicht schlecht«, sagte Clarke später, als er vorsichtig daran genippt hatte. »Welche Krankheiten kuriert es?«
»Gar keine.«
»Aha. Das ist etwas anderes... wie heißt es?«
» Cha oder Chai oder The oder Tay. Ich kenne einen holländischen Kaufmann, der in einem Lagerhaus in Amsterdam mehrere Tonnen davon liegen hat...«
Clarke kicherte. »O nein, Enoch, ich lasse mich nicht zu irgendeinem ausländischen Handelsunternehmen verleiten. Dieser Tay ist durchaus harmlos, aber ich glaube nicht, dass die Engländer sich je für etwas derart Exotisches erwärmen werden.«
»Nun gut – sprechen wir also von anderen Waren.« Und damit setzte Enoch seinen Tay-Becher ab, griff in seine Satteltaschen und brachte Beutel mit gelbem Schwefel zum Vorschein, den er an einem brennenden Berg in Italien gesammelt hatte, ferner fingergroße Antimonstücke, schwere Fläschchen mit Quecksilber, winzige tönerne Tiegel und Schmelztiegel, Retorten, Spiritusbrenner und Bücher mit Holzschnitten, die die Konstruktion diverser Öfen zeigten. Er baute die Gegenstände auf den Kiefernholztischen des Apothekenladens auf und sagte zu jedem ein paar Worte. Clarke stand dabei, die Finger ineinander verflochten, teils Wärme suchend, teils an sich haltend, um sich nicht geradewegs auf die Sachen zu stürzen. Jahre waren vergangen, ein Bürgerkrieg hatte stattgefunden, und in Charing Cross war der Kopf eines Königs gerollt, seit Clarke derlei in den Händen gehabt hatte. Er stellte sich vor, die Adepten auf dem Kontinent seien die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, die innersten Geheimnisse von Gottes Schöpfung zu durchdringen. Doch Enoch wusste, dass die Alchimisten von Europa Männer genau wie Clarke waren – sie hofften und fürchteten zugleich, Enoch werde mit der Nachricht wiederkommen, dass irgendein in völliger Abgeschiedenheit arbeitender englischer Gelehrter den Kniff herausgefunden hatte, wie sich aus der niedrigen, dunklen, kalten, ihrem Wesen nach fäkalen Materie, aus der die Welt bestand, das philosophische Merkur raffinieren ließ – die reine lebendige Essenz von Gottes Macht und Gegenwart in der Welt, der Schlüssel zur Verwandlung der Metalle, zur Erlangung unsterblichen Lebens und vollkommener Weisheit.
Enoch war weniger Kaufmann als Bote. Den Schwefel und das Antimon hatte er aus Gefälligkeit mitgebracht. Er nahm dafür Geld, um seine Ausgaben bestreiten zu können. Die wichtige Fracht befand sich in seinem Kopf. Er und Clarke unterhielten sich stundenlang.
Vom Dachboden ertönte schläfriges Rumoren, Schritte und piepsende Stimmen. Das Treppenhaus dröhnte und ächzte wie ein Schiff in schwerer See. Eine Magd entzündete ein Feuer und kochte Haferbrei. Mrs. Clarke stand auf und setzte ihn Kindern vor – von denen es zu viele gab. »Ist es schon so lange her?«, fragte Enoch, lauschte auf das Geplapper von nebenan und versuchte, die Stimmen zu zählen.
»Es sind nicht unsere«, sagte Clarke.
»Kostgänger?«
»Einige der hiesigen Freibauern schicken ihre Kinder in die Schule meines Bruders.Wir haben oben Platz, und meine Frau mag Kinder.«
»Und Ihr?«
»Manche mehr als andere.«
Die jungen Kostgänger vertilgten ihren Haferbrei und stürzten zur Tür. Enoch trat an ein Fenster: ein Sprossenwerk mit handgroßen, rautenförmigen Scheiben, jede Scheibe grünlich, in sich ungleichmäßig und voller Blasen. Jede war ein Prisma, sodass die Sonne den Raum in Regenbögen
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