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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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tauchte. Die Kinder zeigten sich darin als rosafarbenes Gesprenkel, das von einer Scheibe zur nächsten glitt und hüpfte, sich zuweilen teilte und wieder zusammenfügte, wie Quecksilbertropfen auf einer Tischplatte. Aber das war lediglich eine Übersteigerung dessen, wie Enoch Kinder normalerweise wahrnahm.
    Eines von ihnen, schmächtig und blond, blieb genau vor dem Fenster stehen und wandte sich ihm zu, um hindurchzuspähen. Der Knabe musste schärfere Sinne haben als die anderen, weil er wusste, dass Mr. Clarke an diesem Morgen einen Besucher hatte. Vielleicht hatte er das leise Murmeln ihres Gesprächs gehört oder vom Stall her ein unvertrautes Wiehern vernommen. Vielleicht litt er unter Schlaflosigkeit und hatte Enoch durch einen Spalt in der Wand betrachtet, während dieser vor dem Morgengrauen im Stallhof umherging. Der Knabe hielt sich die Hände seitlich ans Gesicht, um das periphere Sonnenlicht abzuhalten. Es schien, als wären diese Hände mit Farben bekleckst. An einer baumelte ein kleiner Gegenstand, ein Spielzeug oder eine Waffe an einem Bindfaden.
    Dann rief ihn ein anderer Knabe, und er wirbelte voller Eifer herum und stob davon wie ein Spatz.
    »Ich breche besser auf«, sagte Enoch, ohne recht zu wissen, warum. »Unsere Brüder in Cambridge müssen mittlerweile erfahren haben, dass ich in Oxford gewesen bin – sie werden wie auf glühenden Kohlen sitzen.« Mit eiserner Höflichkeit wehrte er Clarkes liebenswürdige Verzögerungstaktik ab, schlug den ihm angebotenen Haferbrei aus, verschob das vorgeschlagene gemeinsame Gebet auf ein andermal und beharrte darauf, dass er sich wirklich nicht ausruhen müsse, bevor er in Cambridge eintraf.
    Sein Pferd hatte nur ein paar Stunden Zeit gehabt, zu fressen und zu dösen. Weil Wilkins es ihm unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass er es gut behandeln würde, geliehen hatte, saß er nun nicht auf, sondern führte es unter leisem Zureden am Zügel die Hauptstraße von Grantham hinunter in Richtung Schule.
    Er bekam die Kostgänger sehr bald zu Gesicht. Sie hatten Steine gefunden, gegen die man treten musste, Hunde, die Gesellschaft brauchten, und ein paar noch an Ästen baumelnde, späte Äpfel. Enoch verharrte im langen Schatten einer Steinmauer und verfolgte das Apfelprojekt. Es steckte einiges an Planung darin – eine gestern Nacht im Flüsterton zwischen den Betten geführte Besprechung. Einer der Knaben war auf den Baum geklettert und schob sich auf dem betreffenden Ast nach vorn. Der Ast war zu dünn, um sein Gewicht zu tragen, aber er stellte sich wohl vor, dass er ihn so weit herunterbiegen konnte, dass der größte Knabe ihn im Sprung erreichen konnte.
    Der kleine blonde Knabe verfolgte die fruchtlosen Sprünge des großen voller Bewunderung. Aber er hatte sein eigenes Projekt, das Enoch schon flüchtig durch das Fenster erblickt hatte: einen Stein am Ende einer Schnur. Nicht leicht zu bewerkstelligen. Er wirbelte den Stein herum und schleuderte ihn nach oben. Die Schnur wickelte sich um das Ende des Astes. Er zog ihn herunter, sodass der Apfel ohne weiteres erreichbar war. Der große Knabe trat widerwillig beiseite, doch der blonde hielt die Schnur mit beiden Händen fest und bestand darauf, dem großen den Apfel zu schenken. Enoch stöhnte beinahe laut auf, als er die Vernarrtheit im Gesicht des kleinen Knaben sah.
    Das Gesicht des großen bot einen weniger erfreulichen Anblick. Zwar gierte er nach dem Apfel, aber er argwöhnte einen Streich. Schließlich grabschte er ihn sich. Nachdem sich die Beute in seiner Hand befand, musterte er forschend das Gesicht des blonden Knaben, versuchte, dessen Beweggründe zu verstehen, und wurde unsicher und mürrisch. Er biss von dem Apfel ab, während der andere mit fast körperlicher Befriedigung zusah. Der Knabe, der sich auf dem Ast vorgeschoben hatte, war heruntergeklettert, und es gelang ihm, die Schnur davon zu lösen. Er untersuchte, wie sie an dem Stein befestigt war, und kam zu dem Schluss, dass Misstrauen angezeigt war. »Bist ja ein richtiger Spitzenklöppler!«, piepste er. Aber der Blonde hatte nur Augen für seinen Angebeteten.
    Dann spuckte der Große auf den Boden und warf den Apfelrest über einen Zaun in einen Garten, wo sich ein paar Schweine darum rauften.
    Nun wurde es eine Zeit lang unerträglich, sodass Enoch wünschte, er wäre ihnen nicht gefolgt.
    Die beiden dummen Knaben blieben dem anderen die Straße entlang auf den Fersen, große Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß, sahen

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