Quicksilver
nicht.«
»Ich sage nur, dass wir nun einmal an Farcen Gefallen finden.«
»Warum besucht Bolstrood die Nichte von Cromwell?«
»Wahrscheinlich besucht er Wilkins.«
Leibniz blieb stehen und überdachte die Lage. »Verlockend. Aber das Protokoll verbietet es. Ich darf das Haus nicht betreten.«
»Natürlich dürft Ihr – mit mir«, sagte Daniel. »Folgt mir einfach.«
»Aber ich muss zurück und meine Gefährten holen – denn ich bin nicht in der Position, den Minister stören zu dürfen -«
»Ich schon«, sagte Daniel. »Eine meiner frühesten Erinnerungen ist der Anblick, wie er mit einem Vorschlaghammer eine Orgelpfeife zertrümmerte. Mich zu sehen wird herzliche Gefühle in ihm wecken.«
Leibniz machte ein entsetztes Gesicht. Fast konnte Daniel in seinen Augen den Widerschein der Buntglasfenster und Orgelpfeifen einer schönen lutherischen Kirche in Leipzig sehen. »Warum hat er eine solche Untat begangen!?«
»Weil es sich um eine anglikanische Kathedrale handelte. Er war damals um die zwanzig – ein temperamentvolles Alter.«
»Eure Familie gehörte zu Cromwells Anhängern?«
»Richtiger muss man wohl sagen, dass Cromwell ein Anhänger meines Vaters war – Gott sei ihrer beider Seelen gnädig.« Doch mittlerweile befanden sie sich mitten in der Traube von Höflingen, und es war zu spät für Leibniz, seinen Instinkten zu gehorchen und wegzulaufen.
Sie brauchten mehrere Minuten, um sich zwischen immer höherrangigen und besser gekleideten Männern hindurch ins Haus und die Treppe hinaufzudrängen, und betraten schließlich eine winzige Schlafkammer mit niedriger Decke. Es roch, als wäre Wilkins bereits gestorben, aber er lebte größtenteils noch – er war in sitzender Haltung auf Kissen gebettet und hatte auf dem Schoß ein Brett, auf dem ein stattlich aussehendes Dokument lag. Knott Bolstrood – zweiundvierzig Jahre alt – kniete neben dem Bett. Er drehte sich zu Daniel um, als dieser eintrat. In den zehn Jahren, die Knott im allgemeinen Teil des Gefängnisses von Newgate, an einem dunklen Ort unter Mördern und Wahnsinnigen, überlebt hatte, hatte er gelernt, darauf zu achten, was hinter ihm vorging. Für einen Minister war diese Fähigkeit ebenso nützlich wie für einen marodierenden Fanatiker.
»Bruder Daniel!«
»Mylord.«
»Ihr seid so gut geeignet wie jeder andere – besser als die meisten.«
»Wofür, Mylord?«
»Dafür, die Unterschrift des Bischofs zu bezeugen.«
Bolstrood holte einen in Tinte getauchten Federkiel herbei. Daniel legte Wilkins’ geschwollene Finger darum. Nach einigen mühsamen Atemzügen des Bischofs begann sich die Hand zu bewegen, und auf der Seite nahm ein Gewirr von Linien und Schnörkeln Gestalt an, das mit Wilkins’ Unterschrift ebenso viel gemein hatte wie ein Geist mit einem Menschen. Es war, mit anderen Worten, nur gut, dass mehrere Menschen zur Hand waren, die sie verifizieren konnten. Daniel hatte keine Ahnung, worum es sich bei dem Dokument handelte, doch aufgrund der aufwändigen Ausfertigung konnte er erraten, dass es für die Augen des Königs bestimmt war.
Danach hatte Graf Penistone es eilig. Doch ehe er ging, sagte er zu Daniel: »Wenn Ihr irgendwelche Aktien der Guinea-Kompanie des Herzogs von York besitzt, dann verkauft sie – denn dieser papistische Sklavenhändler wird den Sturm ernten.« Dann lächelte Knott Bolstrood zum vielleicht zweiten oder dritten Mal in seinem Leben.
»Zeigt sie mir, Dr. Leibniz«, sagte Wilkins, ohne sich mit irgendwelchen Formalitäten aufzuhalten; er hatte seit drei Tagen nicht uriniert, sodass alles eine gewisse Dringlichkeit besaß.
Leibniz setzte sich behutsam auf den Bettrand und klappte den Kasten auf.
Daniel sah Zahnräder, Kurbeln, Wellen. Zuerst dachte er, es handele sich vielleicht um eine neuartige Uhr, doch das Gerät hatte kein Zifferblatt und keine Zeiger – nur ein paar Räder mit aufgeprägten Zahlen.
»Natürlich hat sie Monsieur Pascals Maschine viel zu verdanken«, sagte Leibniz, »aber sie kann Zahlen nicht nur addieren und subtrahieren, sondern auch multiplizieren.«
» Führt sie mir vor, Herr Doktor.«
»Ich muss Euch gestehen, dass sie noch nicht fertig ist.« Leibniz runzelte die Stirn, neigte den Kasten ins Licht und pustete kräftig hinein. Eine Schabe flog heraus, beschrieb eine zappelige Parabel auf den Boden und krabbelte unter das Bett. »Diese hier dient nur zur Demonstration. Aber wenn sie fertig ist, wird sie magnifique sein.«
»Sei’s drum«, sagte Wilkins.
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