Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
seine Perücke weniger, als dass er in ihre unteren Ausläufer eingebettet war, und sie war vollkommen - die Art von Perücke, für die man eigenes Personal braucht. Daniel hätte es, selbst wenn er ein Schlägertyp gewesen wäre, nicht über sich gebracht, etwas so Vollkommenes zu ruinieren. »Ihr seid zu bescheiden, Roger – offenbar habt Ihr wenigstens etwas Gescheites gemacht.«
    »Ach, meine Kleidung ist Euch aufgefallen! Ich hoffe, Ihr haltet sie nicht für stutzerhaft.«
    »Ich halte sie für teuer.«
    » Für einen von den goldenen Comstocks, meint Ihr...«
    Roger kam näher. Daniel war immer wieder grausam zu Roger, damit er ihn in Ruhe ließ, aber Roger fasste es als Ehrlichkeit auf, die tiefe Freundschaft verriet.
    »Nun, in diesem Fall ist es jedenfalls eine Verbesserung gegenüber Eurer Erscheinung, als ich Euch das letzte Mal gesehen habe.« Daniel spielte auf die Explosion im Laboratorium an, die mittlerweile so weit zurücklag, dass sowohl Daniel als auch Roger wieder Augenbrauen hatten. Er hatte Roger seit jener Nacht nicht wiedergesehen, weil Isaac ihn, als er das Laboratorium bei seiner Rückkehr verwüstet gefunden, hinausgeworfen und nicht nur aus dem Laboratorium, sondern aus Cambridge gejagt hatte. So hatte eine Gelehrtenlaufbahn geendet, die man wahrscheinlich ohnehin von ihrem Elend hatte erlösen müssen. Daniel wusste nicht, wohin ihr Aschenputtel sich geflüchtet hatte, aber es war ihm dort offenbar wohl ergangen.
    Roger hatte ersichtlich keine Ahnung, wovon Daniel sprach. »Daran erinnere ich mich nicht mehr – haben wir uns einmal auf der Straße getroffen, bevor ich nach Amsterdam gegangen bin? Damals habe ich wahrscheinlich miserabel ausgesehen.«
    Daniel versuchte sich nun an dem Leibniz’schen Experiment, die Explosion im Laboratorium aus Rogers Perspektive zu rekonstruieren.
    Roger hatte im Dunkeln gearbeitet: eine Notwendigkeit, da jede offene Flamme das Schießpulver hätte entzünden können. Und auch nicht sonderlich unbequem, da das, was er vorgehabt hatte, ganz einfach gewesen war: das Pulver in einem Mörser zu zermahlen und in einen Beutel zu schütten. Wann das Pulver für den vorgesehenen Verwendungszweck fein genug zermahlen war, würden Roger sowohl das Geräusch als auch das Gefühl des Stößels in seiner Hand verraten. Also hatte er blind gearbeitet. Er betete darum, bloß kein Licht zu sehen, denn das würde einen Funken bedeuten, der mit Gewissheit das Pulver entzünden würde. Von Arbeit und Nervosität gefangen genommen, hatte er gar nicht gemerkt, dass Daniel ins Haus zurückgekommen war – wie denn auch, da Daniel sich doch vermeintlich ein Theaterstück ansah? Und den Applaus und das ferne Stimmengemurmel, das dessen Ende anzeigte, hatte Roger noch nicht gehört. Ebenfalls nicht gehört hatte er Daniels Näherkommen, denn dieser hatte sich in der Vorstellung, einer Ratte nachzupirschen, bemüht, so leise wie möglich zu sein. Der schwere Stoff des Wandschirms hatte das Licht von Daniels Kerze so weit gedämpft, dass es nicht heller war als der ständig vorhandene Schimmer der Öfen. Plötzlich hatte Roger die Kerzenflamme vor der Nase gehabt. Unter anderen Umständen hätte er sofort gewusst, worum es sich handelte; doch mit einem Beutel Schießpulver in der Hand hatte er sie für das gehalten, was er am meisten gefürchtet hatte: einen Funken. Deshalb hatte er Mörser und Beutel, so schnell er konnte, fallen lassen und sich nach hinten geworfen. Im nächsten Moment war es zur Explosion gekommen. Etwas gesehen oder gehört haben konnte er erst wieder, nachdem er aus dem Gebäude geflüchtet war. Es gab also keinen Grund zu der Annahme, dass er auch nur den leisesten Hinweis auf Daniels Anwesenheit registriert hatte. Seither hatte er Daniel nicht gesehen.
    Und deshalb stand Daniel vor der Wahl, ob er Roger die Wahrheit sagen oder sich die Lüge zu Eigen machen sollte, die Roger ihm praktischerweise offeriert hatte: nämlich dass er, Daniel, Roger vor dessen Abreise nach Amsterdam auf der Straße erspäht hatte. Die Wahrheit zu sagen barg, soweit er sehen konnte, keine Gefahr. Die Lüge war mit dem geringen Risiko verbunden, dass Roger – der in gewisser Weise verschlagen war – ihn damit womöglich irgendwie auf die Probe stellen wollte.
    »Ich dachtet, Ihr wüsstet das«, sagte Daniel. »Ich war im Laboratorium, als es passierte. War hingegangen, um Isaacs Abhandlung über Tangenten zu holen. Bin beinahe selbst in Stücke gerissen worden!«
    Verblüffung

Weitere Kostenlose Bücher