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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Bekannte meiner Frau. Ich hatte den Jungen schon gesehen.«
    »Und erkannt, was in ihm steckt – wie auch anders.«
    »Er hat keinen Vater. Ich habe der Mutter etwas empfohlen. Sie ist zuverlässig. Zeitweise anständig. Einigermaßen des Lesens und Schreibens mächtig...«
    »Aber zu dumm, um zu begreifen, was sie da erzeugt hat?«
    »O ja.«
    »Also habt Ihr den Knaben unter Eure Fittiche genommen – und wenn er ein gewisses Interesse an den Wissenschaften zeigte, habt Ihr ihn nicht davon abgebracht.«
    »Natürlich nicht! Er könnte es sein, Enoch.«
    »Er ist es nicht«, sagte Enoch. »Jedenfalls nicht der, an den Ihr denkt. Gewiss, er wird ein großer Empiriker werden. Er wird vielleicht große Dinge zuwege bringen, die wir uns gar nicht vorstellen können.«
    »Enoch, wovon redet Ihr eigentlich?«
    Er bekam Kopfschmerzen davon. Wie sollte er es erklären, ohne Clarke als Narren und sich selbst als Schwindler hinzustellen? »Es ist etwas im Gange.«
    Clarke schürzte die Lippen und wartete auf genauere Einzelheiten.
    »Galilei und Descartes waren nur Vorboten. Im Augenblick ist etwas im Gange. Das Quecksilber steigt im Boden wie Wasser, das im Bohrloch eines Brunnens emporklettert.«
    Enoch musste immerzu an Oxford denken – an Hooke, Wren und Boyle, die so rasch Gedanken austauschten, dass praktisch Flammen zwischen ihnen übersprangen. Er beschloss, es auf andere Weise zu versuchen. »In Leipzig gibt es einen Knaben wie diesen hier. Der Vater ist unlängst gestorben und hat ihm nichts als eine riesige Bibliothek hinterlassen. Der Knabe hat begonnen, diese Bücher zu lesen. Er ist erst sechs Jahre alt.«
    »Man hat es durchaus schon erlebt, dass Sechsjährige lesen.«
    »Deutsch, Latein und Griechisch?«
    »Bei entsprechender Unterweisung -«
    »Das ist es ja gerade. Die Lehrer des Knaben haben die Mutter bewogen, das Kind von der Bibliothek fern zu halten. Ich habe Wind davon bekommen. Mit der Mutter geredet und ihr das Versprechen abgenommen, dass der kleine Gottfried freien Zugang zu den Büchern bekommen würde. Er hat sich binnen eines Jahres selbst Latein und Griechisch beigebracht.«
    Clarke zuckte die Achseln. »Nun gut. Vielleicht ist es ja der kleine Gottfried.«
    In diesem Moment hätte Enoch wissen müssen, dass es hoffnungslos war, aber er versuchte es erneut: »Wir sind Empiriker – wir verachten die scholastische Methode, alte Bücher auswendig zu lernen und alles Neue abzulehnen – und das ist auch gut so. Aber indem wir unsere Hoffnungen an das philosophische Merkur hefteten, haben wir im Vorhinein festgelegt, was wir entdecken wollen, und das ist keinesfalls richtig.«
    Dies machte Clarke lediglich nervös. Enoch versuchte es abermals anders: »In meinen Satteltaschen habe ich ein Exemplar der Principia Philosophica, des letzten Buchs, das Descartes vor seinem Tode schrieb. Gewidmet der jungen Elisabeth, der Tochter der Winterkönigin...«
    Clarke bemühte sich, ein aufmerksames Gesicht zu machen, wie ein pflichtbewusster Student, dem noch die nächtlichen Eskapaden in der Schänke nachhängen. Enoch fiel der Stein an der Schnur wieder ein, und er beschloss, etwas konkreter zu werden. »Huygens hat eine Uhr hergestellt, die von einem Pendel reguliert wird.«
    »Huygens?«
    »Ein junger holländischer Gelehrter. Kein Alchimist.«
    »Aha.«
    »Er hat eine Methode entdeckt, ein Pendel herzustellen, das stets in derselben Zeitspanne hin- und herschwingt. Er hat es mit dem Mechanismus einer Uhr verbunden und so einen vollkommen regelmäßig gehenden Zeitmesser geschaffen. Sein Ticken unterteilt die Unendlichkeit, so wie ein Tastzirkel die Meilen auf einer Landkarte abgreift. Mit diesen beiden – Uhr und Tastzirkel – können wir sowohl Ausdehnung als auch Zeitdauer messen. Und damit können wir, in Verbindung mit der neuen Analysemethode von Descartes, die Schöpfung beschreiben und vielleicht die Zukunft vorhersagen.«
    »Ah, ich verstehe!«, sagte Clarke. »Dieser Huygens ist also so etwas wie ein Astrologe?«
    »Nein, nein, nein! Er ist weder Astrologe noch Alchimist. Er ist etwas Neues. Andere wie er werden folgen. Wilkins unten in Oxford versucht, sie zusammenzubringen. Ihre Leistungen dürften über die der Alchimisten hinausgehen.« Wenn nicht, dachte Enoch, würde ihn das sehr verdrießen. »Ich gebe Euch zu bedenken, dass dieser kleine Knabe sich als jemand wie Huygens erweisen könnte.«
    »Ihr wollt, dass ich ihn von der Kunst weglenke?«, rief Clarke aus.
    »Nicht, wenn er

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