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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gespürt und sah Jack schief an, wobei in seinem Auge ein weißer mohammedanischer Halbmond sichtbar wurde. In dem Moment wusste Jack, dass es ihm auf ihrem gemeinsamen Weg mit allen Menschen und Tieren so ergehen würde wie mit Türk: Mit größtem Vergnügen würden sie Eliza auf ihren Rücken steigen und auf ihnen reiten lassen, sie würden ihre Gefühle mitfühlen, als wäre sie eine Schauspielerin auf einer Bühne in Southwark, und Jack würden sie böse Blicke zuwerfen. Er musste nur einen Weg finden, sich das zunutze zu machen.
    Elizas Atem ging wieder gleichmäßiger, als sie sah, dass die Vagabunden einfach nur Menschen waren. Letztlich waren sie sogar sauberer und weniger roh als die Bauern, die sich in dem Dorf niedergelassen hatten, vor allem nachdem sie in den Teich hinausgeschwommen waren, um Fische zu fangen. Ein paar Zigeunerjungen zogen eine Schar von Neugierigen an, als sie sich abmühten, einen gewaltigen Karpfen von der Größe eines Hufschmieds an Land zu zerren. »Manche dieser Fische müssen sich an den Krieg erinnert fühlen«, sinnierte Jack.
    Einige Leute kamen näher, aber nicht zu nah, um Jack und (insbesondere) Eliza ihre Aufwartung zu machen. Einer war ein spindeldürrer Bursche mit blassgrünen Augen, die aus einem anatomischen Gebilde herausschauten, das nach allem anderen als nach einem Gesicht aussah: Seine Nase war weg und hatte zwei identische senkrechte Luftlöcher hinterlassen, seine Oberlippe fehlte, seine Ohren waren durchlöcherte Babyfäuste, die seitlich an seinem Kopf steckten, und in seine Stirn waren böse Wörter eingebrannt. Er kam auf sie zu, blieb stehen und verneigte sich tief. Um ihn herum scharten sich vollständigere Menschen, die ihn offensichtlich liebten, und sie alle grinsten Eliza an und ermutigten sie, sich nicht zu übergeben oder schreiend davonzugaloppieren.
    Sie war höflich entsetzt. »Ein Lepröser?«, fragte sie. »Aber dann wäre er doch nicht so beliebt.«
    »Ein Rückfälliger«, sagte Jack. »Wenn polnische Leibeigene weglaufen, fangen ihre Herren sie wieder ein und brandmarken sie oder schneiden ihnen dieses oder jenes Körperteil ab – wobei sie natürlich die Teile aussparen, die noch zum Arbeiten gebraucht werden -, damit sie, wenn sie erneut auf der Straße gesehen werden, als Flüchtige zu erkennen sind. Das, Mädchen, meinte ich mit den Armen des Teufels: Einer, der unbeirrt weitermacht, der nie von irgendjemandem beherrscht noch von irgendeiner Kirche bekehrt wird. Wie du siehst, hat seine Beharrlichkeit ihm einen ganzen Hofstaat von Bewunderern eingebracht.«
    Jacks Blick war zum Ufer des Teichs hinübergewandert, wo einige von den Vagabunden jetzt händeweise Eingeweide aus Karpfenbäuchen herausschaufelten und damit eine hypnotische Macht über verschiedene räudige Hunde ausübten. Er schaute zu Eliza auf und ertappte sie dabei, wie sie ihn musterte. »Versuchst wohl, dir mich ohne Nase vorzustellen?«
    Eliza schlug die Augen nieder. Das hatte Jack bei ihr noch nie gesehen. Es berührte ihn und machte ihn ärgerlich darüber, dass es ihn berührte. »Schau mich nicht an. Ich lasse mich nicht zum Gegenstand einer solchen Untersuchung machen. Der Letzte, der mich so, vom Rücken eines edlen Pferdes aus, angestarrt hat, war Sir Winston Churchill.«
    »Wer ist das? Ein Engländer?«
    »Ein Edelmann aus Dorsetshire. Royalist. Cromwells Leute brannten seinen Familiensitz nieder, und er hockte zehn oder fünfzehn Jahre in den verkohlten Überresten, zeugte Kinder, vertrieb Landstreicher und wartete darauf, dass der König zurückkäme – und als das passiert war, wurde er ein Lebemann in London.«
    »Warum hat er dich dann vom Pferderücken aus angestarrt?«
    »In jenen Tagen der Pest und des großen Feuers war Sir Winston Churchill so klug, sich beim König einen Posten in Dublin zu verschaffen. Von Zeit zu Zeit kam er zurück, um sich bei der königlichen Familie in Erinnerung zu rufen und zu inspizieren, was von seinem Gutsbesitz noch übrig war. Bei einer dieser Gelegenheiten machten er und sein Sohn einen Besuch in Dorset und riefen die örtliche Miliz zusammen.«
    »Und du warst auch da?«
    »Ja, das war ich.«
    »Kein Zufall, nehme ich an.«
    »Bob und ich und noch gewisse andere waren gekommen, um an einem bezaubernden lokalen Brauch teilzunehmen.«
    »Einem Holzschuhtanz?«
    »Keulenträger – Heerscharen von Bauern, die einst diesen Teil des Landes mit Knüppeln durchstreift hatten. Cromwell hatte sie niedergemetzelt, aber es gab

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