Quicksilver
davon sind Piaster die allgemein gültige Währung.«
»Also gut – und mit einem Zentner Quecksilber kann man wie viel Silber herstellen?«
»Je nach Qualität des Erzes ungefähr hundert spanische Mark – und um auch gleich Eure nächste Frage zu beantworten, eine spanische Silbermark von durchschnittlichem Feingehalt ist acht Piaster und sechs Reales wert …«
»Ein Piaster hat acht Reales …«, sagte Eliza später, nachdem sie zwei Stunden lang vollkommen reglos dagesessen hatte, während Jack in ihrer Schlafkammer auf und ab schritt, sprang und hüpfte und dabei diese ganzen Erlebnisse mit nur bescheidenen Ausschmückungen wiedergab.
»Das weiß ich – deshalb heißt er anderswo ja auch Stück von Achten«, sagte Jack gereizt. Er stand noch auf dem Strohsack, der Eliza als Bett diente und auf dem er ihr gerade demonstriert hatte, wie die Arbeiter das Gemisch mit den Füßen geknetet hatten.
»Acht Piaster plus sechs Reales macht siebzig Reales. Hundert Silbermark sind dann sieben tausend Reales wert … oder... achthundertfünfundsiebzig Piaster. Und der Preis für das benötigte Quecksilber ist – wie doch gleich?«
»Um die achtzig Piaster wäre ein guter Preis.«
»Also: Wer Geld macht, braucht Silber, und wer Silber macht, braucht Quecksilber – und richtig eingesetztes Quecksilber im Wert eines Piaster produziert genug Silber, um zehn Piaster zu prägen.«
»Und man kann es wiederverwenden, was sie ja sorgfältig tun«, sagte Jack. »Übrigens hast du noch ein paar andere Voraussetzungen vergessen – wie zum Beispiel eine Silbermine. Berge von Kohle und Salz. Heerscharen von Arbeitern.«
»Da ist dranzukommen«, sagte Eliza kategorisch. »Hast du nicht verstanden, was Enoch dir gesagt hat?«
»Verrat’s nicht! – Sei still, warte!«, sagte Jack und ging hinüber zu der Schießscharte für Bogenschützen, um hinauf zu der Windmühle des Doktors und hinunter zu seinen am Rand des Stallhofs abgestellten Ochsenkarren zu spähen. Nach oben und nach unten waren die einzig möglichen Blickrichtungen, wenn man durch eine Schießscharte spähte. »Die Bergwerke, deren Meister tun, was er will, versorgt der Doktor mit Quecksilber.«
»Also«, sagte Eliza, »hat der Doktor – was?«
»Macht«, antwortete Jack schließlich, nachdem er ein paar falsche Vermutungen geäußert hatte.
»Denn er hat – was?«
»Quecksilber.«
»Und genau das ist die Antwort – wir gehen nach Amsterdam und kaufen Quecksilber.«
»Ein großartiger Plan – wenn wir nur das Geld hätten, um es zu kaufen.«
»Pah! Wir nehmen einfach das Geld von jemand anderem«, sagte Eliza und schnippte etwas von ihren Fingernägeln weg.
Als Jack nun den überfüllten Kanal in Richtung Hauptstadt hinabstarrte, sah er vor seinem geistigen Auge eine Landkarte, die er in Hannover studiert hatte. Sophie und Ernst August hatten ihre Bibliothek nebst Bibliothekar (dem Doktor) geerbt, als Ernst Augusts papistischer Bruder – offenbar eine Art schwarzes Schaf – den Anstand besessen hatte, früh zu sterben, ohne Erben zu hinterlassen. Dieser Bursche musste mehr an Büchern als an Weibern interessiert gewesen sein, denn seine Bibliothek war (dem Doktor zufolge) zum Zeitpunkt seines Ablebens vor fünf Jahren eine der größten in Deutschland gewesen und seither sogar noch größer geworden. Nirgendwo war genug Platz, um alles unterzubringen, und so wurde sie ständig von einem Stall zum anderen verlagert. Ernst August verbrachte offenbar seine ganze Zeit damit, entweder König Ludwig am Rhein abzuwehren oder Abstecher nach Venedig zu machen, um sich neue Mätressen zuzulegen, und kam nie dazu, eine feste Bleibe für die Sammlung zu bauen.
Jedenfalls hatten Jack und Eliza sich auf ihrer Reise gen Westen ein paar Tage in Hannover aufgehalten, und der Doktor hatte ihnen erlaubt, in einem der zahlreichen Nebengebäude, in denen Teile der Bibliothek untergebracht waren, zu nächtigen. Dort hatte es viele Bücher gegeben, die für Jack nutzlos waren, aber auch eine Reihe ungewöhnlicher Landkarten. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie sich einzuprägen, oder zumindest die Teile davon, die vollendet waren. Entfernte Inseln und Kontinente dehnten sich auf dem Pergament aus wie zerstampfte Gehirne, ihr Inneres war leer, und die Küstenlinien verloren sich im Nichts und endeten einfach mitten im Ozean, weil niemand je weiter als bis dorthin gesegelt war und die Prahlereien und Phantasievorstellungen der Seefahrer einander
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