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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Kaffee noch nicht in Mode – erst als die Türken aus Wien flohen und Berge davon zurückließen.«
    »In England ist er schon seit meiner Kindheit in Mode.«
    »In England ist er nicht in Mode , sondern eine Kuriosität «, presste St-George zwischen den Zähnen hervor.
    Sie suchten weiter, wobei St-George sich wie ein Frettchen durch die Menge wand, unter anderem um Möbelhändler herum, die unglaubliche Gebilde aus zusammengebundenen Hockern und Stühlen auf dem Rücken trugen, Milchmänner mit Kannen auf dem Kopf, des oubliés , die ausgeblasene Laternen trugen und sich mit riesigen, tropfenden Fässern voller Scheiße abschleppten, und Messerschleifer, die ihre Räder vor sich her rollten. Jack musste sich oft auf grobe Weise seiner Krücke bedienen und liebäugelte damit, sein Schwert zu ziehen. Eliza hatte Recht gehabt: Paris war Einzelhandel – komisch, dass sie das gewusst hatte, ohne je ihren Fuß in die Stadt gesetzt zu haben, während er, Jack, der über die Jahre immer wieder einmal hier gelebt hatte …
    Am besten hielt er sich an St-George. Nur die Rattenstange verhinderte, dass Jack ihn aus den Augen verlor. Eine Hilfe war ihm allerdings, dass ständig Leute aus Läden gelaufen kamen oder aus Fenstern hinausriefen und versuchten, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Die Einzigen, die es sich leisten konnten, feste Ladenlokale zu haben, waren die Angehörigen einiger königlicher Gewerbe, nämlich Schneider, Hut- und Perückenmacher. Doch St-George behandelte alle Menschen gleich, stellte ihnen eine Reihe bohrender Fragen und schickte sie dann entschlossen nach Hause. »Selbst Edelleute und Gelehrte haben ein Verständnis von Ratten wie Bauern«, sagte St-George ungläubig. »Wie kann ich ihnen zu Diensten sein, wenn ihr Denken so vortheoretisch ist?«
    »Na, zunächst einmal könntest du ja ihre Ratten beseitigen...«
    »Ratten beseitigt man nicht! Du bist keinen Deut besser als diese Leute!«
    »Entschuldige, St-George. Ich -«
    »Wird man Landstreicher jemals beseitigen ?«
    »Einzelne, sicher. Aber -«
    »Einzelne für dich – aber für einen Edelmann sind sie alle gleich, wie Ratten, n’est-ce pas ? Mit Ratten muss man leben.«
    »Abgesehen von denen, die an deiner Stange baumeln -?«
    »Das ist wie mit den exemplarischen Hinrichtungen. Den aufgespießten Köpfen vor den Stadttoren.«
    »Um die anderen abzuschrecken?«
    »Ganz genau, Jacques. Die hier waren für die Ratten das, was du für die Landstreicher bist.«
    »Du bist zu freundlich, du schmeichelst mir, St-George.«
    »Das hier waren die schlausten – diejenigen, die die kleinsten Löcher fanden, die die Abwasserrohre erforschten, die zu den gemeinen Ratten sagten: ›Nagt euch durch dieses Gitter hindurch, mes amis – es wird zwar eure Zähne verkürzen, aber wenn ihr erst einmal durch seid, habt ihr ein Festmahl vor euch!‹ Das waren die Gelehrten, die Magellans -«
    »Und sie sind tot.«
    »Sie haben mich zu oft geärgert, diese hier. Vielen anderen erlaube ich zu leben – ja sogar, sich zu vermehren!«
    »Nein!«
    »In bestimmten Kellern habe ich – ohne Wissen der Apotheker und Parfumiers, die darüber wohnen – Rattenserails, in denen meine Lieblinge sich fortpflanzen dürfen. Manche Linien habe ich über hundert Generationen hinweg gezüchtet. So wie ein Hundezüchter Hunde abrichtet, die auf Fremde losgehen, ihrem Herrn jedoch aufs Wort gehorchen -«
    »Du erzeugst Ratten, die St-George gehorchen.«
    » Pourquoi non ?«
    »Aber wie kannst du so sicher sein, dass die Ratten nicht dich züchten?«
    »Wie bitte?«
    »Dein Vater war doch auch mort-aux-rats , oder?«
    »Und sein Vater davor auch. An der Pest gestorben, Gott sei ihren Seelen gnädig.«
    »Das glaubst du. Vielleicht haben aber auch die Ratten sie getötet.«
    »Du machst mich wütend. Aber deine Theorie ist nicht ohne Reiz -«
    »Vielleicht bist du, St-George, das Ergebnis eines Zuchtprogramms – du durftest leben und gedeihen und selbst Kinder bekommen, weil du eine Theorie hast, die den Ratten zusagt.«
    »Dennoch töte ich auch eine ganze Menge.«
    »Aber das sind die dummen – die nicht über sich nachdenken.«
    »Ich verstehe, Jacques. Für dich würde ich als mort-aux-rats arbeiten und das sogar umsonst. Aber die hier...« – er machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung eines Mannes unter einer erlesenen Perücke, der versuchte, ihn zu einem Laden hinüberzurufen. Der Mann sah geknickt aus – für einen Moment. Doch dann wurden St-Georges Züge

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