Quicksilver
weicher, und er bewegte sich auf einen schmalen Eingang zu, mehr Luke als Tür, der in die Mauer genau dieses Perückenmacherladens neben dem offenen Ladenfenster eingelassen war. Die Tür ging plötzlich auf, und ein fünf Fuß großer, rundlicher Mann mit einem energischen Schnurrbart und Schnabelschuhen trat aus einem Treppenhaus, das nicht breiter war als er, vor sich einen rauchenden und dampfenden Apparat aus gehämmertem Kupfer, der an seinem Körper festgeschnallt war.
Als Christopher (denn genau der war es) in der Sonne stand, was er immer zu tun versuchte, schimmerte das goldene Licht auf dem Kupfer und hing in dem Dampf und glitzerte auf seiner Goldquaste und spiegelte sich in seinen bestickten Pantoffeln und Messingknöpfen und machte ihn zu einer prachtvollen wandelnden Moschee. Er sprang mitten im Satz zwischen Französisch, Spanisch und Englisch hin und her und behauptete, er wisse alles über Jack Shaftoe (den er l’Emmerdeur nannte), und versuchte, ihm Kaffee umsonst zu geben. Er habe gerade oben seinen Tank nachgefüllt, erklärte er, und sei schwer beladen. St-George hatte ihn gewarnt, dass Christopher ihm dieses Angebot machen würde, »denn er wird ausrechnen wollen, wie viel Geld du bei dir hast«, und gemeinsam hatten sie ein paar Szenarien einstudiert, wie die Verhandlung über den Kaffeepreis sich abspielen könnte. Der Plan sah vor, dass Jack ihre Seite des Handels übernehmen und St-George sich in der Nähe aufhalten und genau im richtigen Moment verraten sollte, dass Jack nach einer Bleibe Ausschau hielt. Das hatte Jack nie zu St-George gesagt, aber es war auch gar nicht nötig gewesen; genau deswegen sprach man St-George gleich bei seiner Ankunft im Marais an. Seine Arbeit brachte ihn in jedes Gebäude – vor allem in die Teile davon, wo Leute wie Jack übernachten konnten.
Kaffee umsonst anzunehmen hieß sich selbst zu erniedrigen; zu viel zu bezahlen dagegen Christopher öffentlich zu beschämen, indem man andeutete, dass er zu der Sorte Menschen gehörte, denen an so etwas Niedrigem und Schmutzigem wie Geld gelegen war; erklärte man sich einfach mit einem fairen Preis einverstanden, stellte man sich als Einfaltspinsel dar und bezichtigte Christopher, ein ebensolcher zu sein. Eifriges Feilschen dagegen legte die Seele offen und machte die Beteiligten zu Blutsbrüdern. Jedenfalls war die Angelegenheit geregelt – sehr zur Erleichterung des Perückenmachers, der händeringend dastand, während dieser einbeinige Landstreicher, der dicke Pseudotürke und der Rattentöter sich unmittelbar vor seinem Laden anbrüllten und mögliche Kundschaft abschreckten. In der Zwischenzeit schloss St-George einen eigenen Handel mit dem Perückenmacher. Jack war zu beschäftigt, um heimlich zu lauschen, aber er folgerte, dass St-George seinen Einfluss geltend machte, um in einem der Obergeschosse ein Zimmer oder wenigstens ein Eckchen für Jack zu ergattern.
Genau so war’s: Nach einer feierlichen Tasse Kaffee auf der Straße sagte Jack Lebewohl zu St-George (der unmittelbare Verpflichtungen im Keller hatte) und Christopher (der Kaffee zu verkaufen hatte), trat durch die winzige Tür und begann die Treppe hinaufzusteigen – vorbei am Geschäft des Perückenmachers im Erdgeschoss, dann im ersten Stock an dessen Wohnung, jedenfalls den feineren Teilen davon wie Salon und Esszimmer. Dann an einem Stockwerk mit den Schlafkammern der Familie. Und einem mit den Kammern seiner Bediensteten. Das nächste hatte er an einen Händler von geringerer Stellung vermietet. Je höher die Stockwerke, umso schlechter deren Substanz. Auf den unteren Ebenen bestanden Wände und Treppenstufen noch aus solidem Stein, wichen dann jedoch hölzernen Stufen und Gipswänden. Weiter oben sah Jack, dass der Gips Risse bekam und dann anfing, aufzuquellen, und von den Latten abzublättern. Gleichzeitig knarrten die Treppenstufen immer mehr und begannen, sich unter seinem Gewicht durchzubiegen. Im obersten Stock gab es überhaupt keinen Verputz an den Wänden, nur Vogelnester aus Stroh und Flechtwerk, die die Lücken zwischen den Balken füllten. Hier in einem großen Raum, der durch ein paar Streben zum Abstützen des Daches unterbrochen war, lebte Christophers Familie: unzählige Armenier, die auf fast quadratischen Kaffeebohnensäcken schliefen oder saßen. Über eine Leiter in der Ecke hatte man Zugang zum Dach, auf dem unter der großartigen Bezeichnung entresol eine Art provisorischer Anbau errichtet worden war. Eine
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