Quicksilver
gemartert und gepeinigt.
Jack lehnte gerade an einer von der Sonne erwärmten Steinmauer, als er unmittelbar hinter seinem Kopf ein ganz leises Rascheln hörte. Er drehte sich um und sah den Abdruck einer kleinen Kreatur, zerquetscht und im Stein festhängend – in dieser Art von Stein durchaus ein üblicher Anblick, bekannt als Laune der Natur, so wie wenn Tiere an der Hüfte miteinander verwachsen oder mit an den falschen Stellen wachsenden Gliedmaßen geboren wurden. Der Doktor hatte eine andere Theorie: dass dies lebendige Kreaturen gewesen seien, die eingefangen, unbeweglich gemacht und auf ewig eingesperrt worden waren. Nun, da das Gewicht all der Steine in Paris auf ihm zu lasten schien, glaubte Jack es. Wieder hörte er dieses leise Rascheln und sah schließlich, nachdem er die Mauer sorgfältig abgesucht hatte, auch eine Bewegung dort: Zwischen ein paar alten Muschelschalen und Fischgräten entdeckte er eine kleine menschliche Gestalt, die halb im Stein gefangen war und sich abmühte, wieder herauszukommen. Er schaute sich diese Kreatur von der Größe seines kleinen Fingers ganz genau an und erkannte, dass es Eliza war.
Jack wandte sich davon ab und ging über den Pont-Neuf zurück zu seinem Entresol im Marais. Er bemühte sich, seinen Blick starr auf die Pflastersteine unter seinen Füßen zu richten, doch manchmal bewegten sich auch in ihnen gefangene Kreaturen. Also hob er den Blick und sah Hausierer, die Menschenköpfe verkauften – um dann zu dem wolkenlosen Himmel aufzuschauen und einen Engel mit einem Flammenschwert zu sehen, das er wie einen Kienspan auf die Stadt richtete – schließlich versuchte er, sich auf die gemeißelten Köpfe von Göttern zu konzentrieren, die den Pont-Neuf verzierten und prompt zum Leben erwachten und ihn anflehten, er möge sie von diesem steinernen Galgen befreien.
Endlich wurde Jack verrückt, und es war ihm ein kleiner Trost, dass er sich dafür die richtige Stadt ausgesucht hatte.
Paris
WINTER 1684-1685
Die Armenier, die über dem Perückenmacher und unter Jack wohnten, schienen keine Zwischenstadien zwischen dem Töten von Fremden und ihrer vollständigen Aufnahme in die Familie zu kennen. Da Jack mit einer Empfehlung von St-George gekommen war und außerdem seine ehrlichen Absichten durch sein gewieftes Feilschen mit Christopher um den Kaffeepreis bewiesen hatte, konnten sie ihn nicht gut umbringen – also wurde Jack der dreizehnte von dreizehn Brüdern. Wenn auch ein etwas befremdlicher, schwachsinniger Halbbruder, der im Entresol wohnte, zu seltsamen Zeiten und auf seltsamen Wegen kam und ging und nicht ihre Sprache sprach. Doch die Matriarchin, Madame Esphahnian, beunruhigte das nicht weiter. Nichts beunruhigte sie, außer wenn man vermutete, irgendetwas beunruhige sie oder könnte sie theoretisch beunruhigen – wenn man diese Vermutung äußerte, machte sie ein erstauntes Gesicht und erinnerte einen daran, dass sie zwölf Söhne geboren und großgezogen hatte – wo denn eigentlich das Problem liege? Christopher und die anderen hatten gelernt, sie einfach in Ruhe zu lassen. Auch Jack gewöhnte sich rasch an, seinen Verschlag über die Dachfirste zu betreten und zu verlassen, und vermied so, Madame Esphahnian beim Weggehen Lebewohl und bei der Rückkehr guten Tag sagen zu müssen. Sie sprach natürlich kein Englisch und gerade so viel Französisch, dass Jack ihren Verstand jedes Mal, wenn er irgendetwas sagte, mit bunten, grotesken Missverständnissen erfüllte.
Sein Aufenthalt in Paris war typisch für seine Wanderschaft: Der erste Tag war ein großes Ereignis, und bevor er wusste, wie ihm geschah, war es schon einen Monat später, dann zwei Monate. Als er ernsthaft darüber nachdachte aufzubrechen, war es keine gute Jahreszeit mehr, um nordwärts zu reisen. Mittlerweile waren die Straßen noch voller, jetzt infolge eines Zustroms behaarter Brennholzhändler aus Teilen Frankreichs, in denen eine Haupttodesursache immer noch darin bestand, von wilden Tieren zerrissen zu werden. Die Brennholzhändler hauten Leute um wie Kegel und waren eine Gefahr für jedermann, vor allem wenn sie miteinander kämpften. Die Mansardenbewohner von gegenüber fingen an, sich selbst als Galeerensklaven zu verkaufen, nur um nicht mehr zu frieren.
Die seltsamen Visionen, die Jacks ersten Tag in Paris so denkwürdig gemacht hatten, verschwanden, nachdem er eine Nacht gut geschlafen hatte, und stellten sich in der Regel nur dann wieder ein, wenn er sehr müde oder betrunken
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