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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Wassertor passieren, in den Hofvijver hinein!« Damit war ein rechteckiger Weiher gemeint, der vor dem Binnenhof beziehungsweise dem holländischen Gerichtshof lag. »Der Anblick des Binnenhofs, der sich über das Eis erhebt, ist sicher … äh …«
    »Zauberhaft?«
    » Nein .«
    »Großartig?«
    »Seid nicht albern.«
    »Weniger öde als alles andere, was wir gesehen haben?«
    »Jetzt sprecht Ihr wirklich Französisch«, sagte der Botschafter zustimmend. »Das Prinzlein ist wieder einmal auf einem seiner unerträglichen Jagdausflüge, aber einige Standespersonen werden da sein.« Er hatte einen überraschenden – fast bedenklichen – Spurt vorgelegt und war jetzt mehrere Schritte vor Eliza. »Für mich werden sie das Tor öffnen«, sagte er zuversichtlich, wobei er die Worte wie einen Schal über die Schulter warf. »Wenn sie es tun, vollführt ihr eine dieser herrlichen accélérations und segelt an mir vorbei in den Hofvijver.«
    »Sehr gewieft…, aber warum bittet Ihr sie nicht einfach, mich durchzulassen?«
    »So wird es ein lustigeres Schauspiel geben.«
    Das Tor war so nah am Binnenhof, dass sie fast unter dem Palast hindurchkämen, wenn sie es passierten. Es wurde von Musketieren und Bogenschützen in blauen Uniformen mit Spitzenhalstüchern und orangefarbenen Schärpen bewacht. Als sie Jean Antoine de Mesmes, Comte d’Avaux, erkannten, wagten sie sich, auf ihren hart besohlten Stiefeln rutschend, aufs Eis hinaus, öffneten eine Seite des Tores für ihn und verbeugten sich – wobei sie ihre Hüte zogen und mit den Spitzen ihrer orangefarbenen Federn übers Eis wischten. Das Tor war breit genug, um in den wärmeren Monaten Vergnügungsboote durchzulassen, und so hatte Eliza ausreichend Platz, um an dem französischen Botschafter vorbei in das Rechteck aus Eis zu zischen, das sich vor Wilhelm von Oraniens Palast erstreckte. Es war ein Unterfangen, das ihr, wenn sie ein Mann gewesen wäre, einen mit breiter Spitze versehenen Pfeil zwischen die Schulterblätter eingebracht hätte. Aber sie war ein Mädchen mit kurzem Rock, und so nahmen die Wachen ihren Eintritt genauso auf, wie beabsichtigt – als eine vergnügliche vornehme plaisanterie , die der Comte sich ausgedacht hatte.
    Sie fuhr sehr schnell, schneller als notwendig, denn das hatte ihr einen Vorwand gegeben, kalte, steife Beinmuskeln zu strecken. Hereingekommen war sie an der südöstlichen Ecke des Hofvijver, der sich vielleicht hundert Ellen in nordsüdlicher Richtung und dreimal so weit in ostwestlicher erstreckte. Während sie am Ostufer entlangglitt, wurde sie durch Gewehrfeuer aus offenem Gelände rechts von ihr abgelenkt, und für einen Moment packte sie die nackte Angst, sie würde jeden Augenblick von Heckenschützen niedergemäht. Es bestand jedoch kein Grund zur Aufregung: Das war eine Gruppe von Edelleuten, die auf einem Schießstand zwischen dem Teichufer und einem reich verzierten, weiter zurückgesetzten Gebäude an ihrer Schießkunst feilten. Sie erkannte es jetzt als das Hauptquartier der St. Georgsgilde. Dahinter erstreckte sich gen Osten bewaldetes Land so weit sie sehen konnte: der Haagsche Bos, ein Wildpark für die Grafen von Holland, in dem bei schönerem Wetter Menschen aller Klassen sich zu Pferd und zu Fuß ergingen.
    Unmittelbar vor ihr befand sich eine gepflasterte Rampe: eine Straße, die direkt ins Wasser des Teichs führte, wenn er nicht zugefroren war, damit Pferde und Vieh dort getränkt werden konnten. Eliza musste sich kräftig zur Seite lehnen und eine scharfe Drehung vollführen, um ihr auszuweichen. Indem sie sich in den Hüften wiegte, nahm sie ein bisschen Geschwindigkeit auf, während sie das lange Nordufer des Hofvijver entlangglitt. Das Südufer, das jetzt links von ihr lag, war ein Sammelsurium aus braunen Backsteingebäuden mit schwarzen Schieferdächern, von denen viele Fenster knapp über dem Teich besaßen, sodass sie einfach hätte hinfahren und mit den Leuten im Innern plaudern können. Doch das hätte sie nicht gewagt, denn dies war der Binnenhof, der Palast des Statthalters,Wilhelms von Oranien. Eine Zeit lang war ihr der Blick darauf durch eine kleine runde Insel versperrt, die wie eine halbe Kirsche auf einem Stück Kuchen mitten im Hofvijver lag. Auf ihr wuchsen Bäume und Sträucher, und auf denen wuchs Moos, obwohl jetzt alles braun und unbelaubt war. Doch über und hinter dem Binnenhof konnte sie die vielen schmalen Türme des Rittersaals sehen, die ihre Spitzen wie eine Ritterschwadron ihre

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