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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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der dröhnenden Musik einer Tragödie oder Geschichte weicht. Es wurde dunkler und spürbar kälter, und die Schiffe wurden aus ihren Kästen entlassen und begannen vor dem Wind ihre Segel auszubreiten wie Tuchhändler, die einem wichtigen Käufer ihre Ware zeigten. Die Angebote wurden widerwillig angenommen – die Segel füllten sich mit Luft, wurden straff und glatt, und die Schiffe fuhren mit wachsender Geschwindigkeit aufs Meer zu. Später kamen sie nach Texel, und sämtliche Matrosen unterbrachen ihre Arbeit, um die Schiffe der Holländischen Kriegsmarine zu betrachten, die auf den gewaltigen Wellen der Nordsee ritten, mit ihren Flaggen und Heeresfahnen, die wie bunte Rauchwolken wirbelten, und ihren dreifachen Batteriedecks, die finster gen England blickten.
    Dann waren sie endlich auf See, was für Jack, der meinte, er müsste jetzt wohl auf jedem Stückchen Festland der Welt ein Verdammter sein, eine gewisse Beruhigung darstellte. Sie liefen kurz in Dünkirchen ein, um noch ein paar Matrosen an Bord zu nehmen. Sein Bruder Bob kam hinaus, um Jack zu besuchen, der nicht in der Verfassung war, das Schiff zu verlassen, und sie tauschten ein paar Geschichten aus, die Jack auf der Stelle vergaß. Diese letzte Begegnung mit seinem Bruder war wie ein Traum, ein Zusammengleiten von Fragmenten, und er hörte jemanden zu Bob sagen, Jack sei nicht ganz bei Verstand.
    Dann gen Süden. Vor St-Malo wurden sie von französischen Freibeutern eingeholt und geentert; die lachten nur, als sie von der wertlosen Fracht hörten, und ließen sie mit einem symbolischen kleinen Diebstahl davonkommen. Doch einer dieser Franzosen trat, bevor er von Bord der Wunden Gottes ging, zu Mr. Vliet, der sich unterwürfig duckte. Und als Reaktion auf diese Unterwürfigkeit mehr als auf alles andere verpasste der Freibeuter dem Holländer einen so kräftigen Schlag auf die Wange, dass er hinfiel.
    Obwohl sein Verstand auf vielfache Weise beeinträchtigt war, erkannte Jack, dass dieser Akt für seine Investition schädlicher war, als wenn die Franzosen eine Breitseite Kanonenkugeln durch ihren Rumpf gefeuert hätten. Die Matrosen wurden danach mürrischer, und Mr. Vliet fing an, sich die meiste Zeit in seiner Kajüte aufzuhalten. Das Einzige, was die Wunden Gottes vor einer fortdauernden Meuterei bewahrte, war die Anwesenheit von Mr. Foot, der nun (mit Jewgeni als seinem starken Mann) zum wahren Kapitän des Schiffes wurde, eine Rolle, in die er mühelos schlüpfte, als hätte es sein zwanzigjähriges Zwischenspiel hinter der Theke des »Bombe & Enterhaken« gar nicht gegeben.
    Der Küste folgend umfuhren sie die verschiedenen Kaps der Bretagne, steuerten dann eine südwestliche Loxodrome durch den Golf von Biskaya und hatten nach einer Reihe banger Tage die galizische Küste vor Augen. Jack empfand diese Bangigkeit nicht mit, weil seine Wunden sich infiziert hatten. Zwischen den Fieberanfällen und den unbarmherzigen Aderlässen, die der Schiffsbader ihm zuteil werden ließ, um sie zu heilen, hatte er jedes Gefühl dafür verloren, wo sie waren, und manchmal vergaß er sogar, dass er sich an Bord eines Schiffes befand. Mr.Vliet weigerte sich, die beste Kajüte freizumachen, was aus seiner Sicht vermutlich ein geschickter Zug war, da es in der Mannschaft durchaus Stimmen gab, die ihn über Bord werfen wollten. Allerdings war er der Einzige an Bord, der navigieren konnte. Also wurde Jack in eine Hängematte unter Deck gesteckt, von der aus er tagaus, tagein blaue Nadeln von Licht zwischen den Deckplanken anstarrte und kaum etwas hörte außer dem fröhlichen Klirren von Kaurimuscheln, die durch das Stampfen und Schlingern des Schiffes hin-und hergeschüttelt wurden.
    Als es ihm schließlich wieder so gut ging, dass er an Deck gehen konnte, war es heiß und die Sonne stand höher am Himmel, als er es je gesehen hatte. Man teilte ihm mit, dass sie eine Zeit lang im Hafen von Lissabon vor Anker gegangen und seitdem unterwegs waren. Jack bedauerte, das verpasst zu haben, denn außerhalb dieser Stadt sollte es ein sehr großes Landstreicherlager geben, und wenn er es geschafft hätte zu entwischen, wäre er jetzt vielleicht wieder auf dem Festland und regierte als Landstreicherkönig. Doch das war nur die verrückte Phantasie eines Verdammten, der mit dem Hals an eine Wand gekettet war, und er sah rasch zu, dass er sie wieder vergaß.
    Laut Mr.Vliet, der Stunden damit verbrachte, mit einem Quadranten Messungen vorzunehmen und schwierige Rechnungen mit

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