Quicksilver
Daniel hatte ein paar Pfund hineingesteckt (nicht, dass er sich für einen großen Investor hielt; aber das britische Münzgeld hatte sich, falls das überhaupt vorstellbar war, in den letzten zwanzig Jahren nur noch mehr verschlechtert, und es stand nicht dafür, sein Geld auf diese Weise anzulegen). Damit die Baustelle nicht jede Nacht von den früheren Bewohnern (menschlichen wie nichtmenschlichen) geplündert wurde, hatte man dort in einer behelfsmäßigen Hütte einen Nachtwächter mit einem großen Rudel mehr oder weniger schwachsinniger Hunde postiert. Daniel schaffte es, sie allesamt aufzuwecken, indem er um drei Uhr morgens mit halb durchgesägtem Hals über den Zaun kraxelte. Natürlich wachte der Nachtwächter als Letzter auf und rief die Hunde erst zurück, als sie Daniel die Hälfte seiner noch verbliebenen Kleidung vom Leib gerissen hatten. Zu diesem Zeitpunkt allerdings konnte das nicht mehr als großer Verlust gelten.
Daniel war einfach nur froh darüber, dass ihn jemand erkannte, und saugte sich die übliche Geschichte von wegen Überfall durch irgendwelche Strauchdiebe aus den Fingern. Der Nachtwächter reagierte darauf mit dem obligatorischen Zukneifen eines Auges. Er gab Daniel Ale, ein Akt reiner Menschenliebe, der Daniel neuerlich Tränen in die Augen trieb, und schickte seinen Sohn im Laufschritt nach Westminster, um eine Sänfte zu holen. Das war eine Art vertikaler Sarg, aufgehängt an zwei Stangen, deren Ende von riesengroßen schweigsamen Männern gehalten wurden. Daniel bestieg sie und schlief ein.
Als er aufwachte, dämmerte es, und er befand sich vor dem Gresham’s College, am anderen Ende von London. Ihn erwartete ein Brief aus Frankreich.
Der Brief begann:
Ist das Wetter in London immer noch so entsetzlich? Aus dem Blickwinkel von Versailles kann ich Euch versichern, dass sich der Frühling London naht. Bald werde auch ich herannahen.
Daniel (der dies in der Eingangshalle des College las) hielt an dieser Stelle inne, stopfte sich den Brief in den Gürtel und wankte in das Innerste des Klotzes. Nicht einmal Sir Thomas Gresham höchstpersönlich würde sich noch darin zurechtfinden, falls er zurückkäme, um hier zu spuken. Die R.S. hauste nun schon fast drei Jahrzehnte lang in dem Gebäude, und es war praktisch hinüber. Daniel hatte nur Spott für all das Gerede von einem Neubau nach Wrens Entwürfen übrig, in den die Society umziehen sollte. Die Royal Society ließ sich nicht auf ein Inventar seltsamer Gegenstände reduzieren und war durch Transport dieser Gegenstände in ein neues Gebäude ebenso wenig zu verlegen, wie ein Mensch nach Frankreich reisen konnte, indem er sich die inneren Organe herausschneiden, sie in Fässer verpacken und über den Kanal befördern ließ. So wie ein geometrischer Beweis in seinen Begriffen und Bezügen die gesamte Geschichte der Geometrie enthielt, so war in der Masse des Materials innerhalb der größeren Masse, die Gresham’s College bildete, die Geschichte der Naturphilosophie von den ersten Zusammenkünften Boyles, Wrens, Hookes und Wilkins’ bis zum heutigen Tage beschlossen. Seine Anordnung, die Reihenfolge der Schichtungen, spiegelte wider, was sich in einer bestimmten Epoche im Denken der Fellows (vorzugsweise Hookes) abgespielt hatte, und sie zu verlegen oder aufzuräumen wäre so ähnlich, als verbrenne man eine Bibliothek. Wer hier nicht finden konnte, was er brauchte, verdiente es nicht, eingelassen zu werden. Daniel brachte der Stätte die gleichen Gefühle entgegen wie ein Franzose der französischen Sprache, d.h. sie leuchtete einem vollkommen ein, sobald man sie begriffen hatte, und wenn man sie nicht begriff, konnte man sich zum Teufel scheren.
Nicht lange, und er fand im Dunkeln ein Exemplar des I Ging, trat damit an eine Stelle, wo die rosenfingrige Dämmerung verzweifelt an einem rußverkrusteten Fenster kratzte, und schlug das Hexagramm 19, Lin – Herannahen – auf. Das Buch verbreitete sich ausführlich über die nicht auszulotende Bedeutsamkeit dieses Symbols, doch die einzige Bedeutung, auf die es Daniel ankam, war 000011, denn so ließ sich das Muster der unterbrochenen und nicht unterbrochenen Linien in binäre Schreibweise übersetzen. In dezimaler Schreibweise hieß das 3.
Es wäre völlig verständlich gewesen, wenn Daniel in seine Dachkammer ganz oben im College hinaufgekrochen wäre und geschlafen hätte, doch da er eine Nacht und einen Tag lang unter Opiumeinfluss gestanden hatte, fand er, dass er
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