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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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eigentlich keinen Schlaf nachholen musste, und er war von den Ereignissen in der Sternkammer und später in Hogs-den ohnehin ziemlich aufgedreht. Jeder der folgenden drei Gründe reichte aus, ihn am Schlafen zu hindern: die offenen Wunden an seinem Hals, das Rumoren der erwachenden Stadt und sein animalisches, nicht zu bezähmendes Verlangen nach Eliza. Er ging nach oben in einen Raum, der optimistischerweise Bibliothek genannt wurde, nicht weil er Bücher enthielt (das galt hier für jeden Raum), sondern weil er Fenster hatte. Dort entfaltete er Elizas Brief auf einem Tisch, der über und über mit unschönen Flecken verschmiert und bekleckert war. Neben den Brief legte er ein rechteckiges Stück Sudelpapier (in Wirklichkeit ein Probeabzug eines Holzschnitts, der für Band III von Newtons Prinicipia Mathematica bestimmt war). Er musterte nacheinander die Buchstaben von Elizas Brief, ordnete sie entweder dem 0-Alphabet oder dem 1-Alphabet zu und schrieb die entsprechende Ziffer auf das Sudelpapier, wobei er die Ziffern zu Fünfergruppen zusammenfasste. So ergab sich

    Die erste Gruppe binärer Ziffern bildete die Zahl 12, die zweite 4, die nächste 16 und die folgende 6. Indem er diese in eine neue Zeile schrieb, und von jeder 3 subtrahierte, erhielt er

    Das ergab die Buchstaben
    IAMC
     
    Das Licht wurde besser, während er arbeitete.
    Leibniz war dabei, in Wolfenbüttel eine prächtige Bibliothek zu bauen, mit einer Rotunde, durch die Licht auf den Tisch darunter fallen würde...
    Seine Stirn lag auf dem Tisch. Arbeiten konnte man so nicht besonders gut. Schlafen auch nicht, außer man hatte einen so furchtbar zugerichteten Hals, dass an Hinlegen nicht zu denken war, dann konnte man nur so schlafen. Und Daniel hatte geschlafen. Die Blätter unter seinem Gesicht waren ein Meer von Licht, dem dreisten Licht des Mittags.
    »Wahrhaftig, Ihr inspiriert alle Naturphilosophen, Daniel Waterhouse.«
    Daniel setzte sich auf. Er war steif wie ein Verwachsener. Er spürte und hörte, wie der Schorf an seinem Hals aufriss. Zwei Tische weiter saß, einen Federkiel in der Hand, Nicolas Fatio de Duilliers.
    »Sir!«
    Fatio hob schnell die Hand. »Ich wollte Euch nicht stören, Ihr müsst nicht -«
    »O doch, ich muss meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen. Ich habe Euch nicht gesehen, seit Ihr dem Prinzen von Oranien das Leben gerettet habt.«
    Fatio schloss einen Moment lang die Augen. »Es war wie eine Planetenkonjunktion, reiner Zufall, sodass mir keinerlei Auszeichnung zukommt, und dabei wollen wir es bewenden lassen.«
    »Ich habe erst kürzlich erfahren, dass Ihr in der Stadt seid – dass Euer Leben in Gefahr sei, solange Ihr auf dem Kontinent bleibt. Hätte ich das schon früher gewusst, hätte ich Euch an Gastfreundschaft angeboten, was immer -«
    »Und wenn ich der Bezeichnung Gentleman würdig wäre, hätte ich auf das Angebot gewartet, ehe ich es mir hier gemütlich gemacht hätte«, gab Fatio zurück.
    »Natürlich hat Isaac Euch das Haus überlassen, und das ist großartig.«
    An dieser Stelle bemerkte Daniel, dass Fatio ihn mit einem durchdringenden, analytischen Blick bedachte, der ihn daran erinnerte, wie Hooke durch eine Linse spähte. Bei Hooke war das aus irgendeinem Grunde nicht unangenehm. Bei Fatio wirkte es leicht anstößig. Natürlich fragte sich Fatio, woher Daniel wusste, dass er mit Isaac zusammengesteckt hatte. Daniel hätte ihm die Geschichte von Jeffreys und der Sternkammer erzählen können, aber das hätte die Dinge nur noch verworrener gemacht.
    Fatio schien nun zum ersten Mal die Verletzungen an Daniels Hals zu bemerken. Seine Augen sahen alles, aber sie waren so groß und leuchtend, dass es ihm unmöglich war zu verbergen, worauf er schaute; im Gegensatz zu Jeffreys’ Augen, die aus dem Schatten ihrer tiefen Schießscharten heraus heimlich hierhin und dahin spähen konnten, ließen sich Fatios Augen niemals unauffällig benutzen.
    »Fragt nicht«, sagte Daniel. »Ihr, Sir, habt am Strand eine ehrenvolle Wunde davongetragen, ich dagegen in London eine nicht so ehrenvolle, allerdings in der gleichen Sache.«
    »Fehlt Euch auch nichts, Dr. Waterhouse?«
    »Danke der Nachfrage. Es geht mir gut. Eine Tasse Kaffee, und ich bin so gut wie neu.«
    Worauf Daniel seine Papiere zusammenraffte und sich ins Kaffeehaus verfügte, wo er sich trotz der vielen Menschen ungestörter fühlte als unter den Augen Fatios.
    Aus den binären Ziffern, die sich in den Feinheiten von Elizas Handschrift versteckten,

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