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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nach St-Cloud bekommen habe.
Und die Zahlen des Quartals werde ich Euch auch schicken!
Eliza de la Zeur

Tower von London
    SOMMER UND HERBST 1688
Deshalb verhält es sich gewöhnlich so, dass sich diejenigen, die ihren Wert nach der Größe ihres Reichtums bemessen, auf Verbrechen einlassen, in der Hoffnung, der Bestrafung zu entgehen, indem sie mittels Geld oder anderer Vergünstigungen die Justiz korrumpieren oder Pardon erhalten.
Hobbes, Leviathan
    Da man in England gern am Bewährten festhielt, sperrte man ihn in dieselbe Kammer, in die man vor zwanzig Jahren Oldenburg gesteckt hatte.
    Aber einiges änderte sich sogar in England: James II. war missgünstig und launenhaft, wo sein älterer Bruder fröhlich gewesen war, und so wurde Daniel strenger gehalten als Oldenburg und durfte die Kammer nur selten verlassen, um auf den Mauern spazieren zu gehen. Er verbrachte seine gesamte Zeit in jenem runden Raum, umgeben von den unheimlichen Glyphen, die vorzeiten von verurteilten Alchimisten und Zauberern in den Stein gekerbt, und Mitleid erregenden lateinischen Klagen, die während der Herrschaft Elizabeths von Papisten eingeritzt worden waren.
    Vor zwanzig Jahren hatten er und Oldenburg müßig darüber gescherzt, neue Graffiti in den Universalen Zeichen von John Wilkins anbringen zu wollen. Die Worte, die er mit Oldenburg gewechselt hatte, schienen noch immer in dem Raum widerzuhallen, als bilde der Stein einen Hohlspiegel, der für alle Zeiten sämtliche Informationen in die Mitte zurückwarf. Die Vorstellung des Universalen Zeichens erschien Daniel mittlerweile verstiegen und naiv, und so kam es ihm die ersten vierzehn Tage seiner Inhaftierung nicht in den Sinn, etwas in den Stein zu ritzen. Um dauerhafte Spuren zu hinterlassen, würde er vermutlich lange brauchen, und er nahm an, dass er nicht lange genug leben würde. Jeffreys konnte ihn nur hier hineingesteckt haben, um ihn umzubringen, und wenn Jeffreys sich vorgenommen hatte, jemanden umzubringen, war er nicht aufzuhalten: Er tat es so, wie eine Bauersfrau ein Huhn rupft. Aber es waren keine speziellen juristischen Verfahren im Gange – ein Zeichen dafür, dass kein Justizmord (d.h. eine würdevolle und mehr oder weniger vorhersagbare Angelegenheit), sondern die andere Sorte vorgesehen war.
    Es war herrlich ruhig im Tower von London, denn die Münze war im Augenblick geschlossen, und es kam ihn nie jemand besuchen, und das war gut so – selten hatte man einem Mordopfer eine solche Gelegenheit gewährt, sein spirituelles Haus zu bestellen. Anders als die Papisten legten Puritaner vor dem Tod weder die Beichte ab, noch kannten sie dafür ein besonderes Sakrament; dennoch meinte Daniel, in den staubigen Ecken seiner Seele ein wenig Ordnung schaffen zu können, ehe die Männer mit den Dolchen kamen.
    Also beschäftigte er sich eine Weile damit, seine Seele zu erforschen, und fand dort nichts. Sie war so öde und leer wie eine geplünderte Kathedrale. Frau oder Kinder hatte er nicht. Er begehrte Eliza Gräfin de la Zeur, doch irgendetwas am Eingesperrtsein in diesem runden Raum verhalf ihm zu der Erkenntnis, dass sie ihrerseits ihn weder begehrte noch sonderlich mochte. Er hatte keinerlei nennenswerte Karriere gemacht, denn er war ein Zeitgenosse von Hooke, Newton und Leibniz und daher auf Rollen wie Schreiber, Sekretär, Resonanzboden und Laufbursche festgelegt. Seine gründliche Ausbildung für die Apokalypse hatte sich als Zeitverschwendung erwiesen, und er hatte mutig versucht, seine Fähigkeiten und Energien auf die Herbeiführung einer säkularen Apokalypse auszurichten, die er Revolution nannte. Aber für derlei waren die Aussichten im Moment nicht günstig. Etwas in die Wand zu ritzen wäre vielleicht eine Möglichkeit, der Welt etwas von Dauer zu hinterlassen, aber dafür würde ihm keine Zeit bleiben.
    Alles in allem würde sein Grabspruch lauten: DANIEL WATERHOUSE 1646 – 1688, SOHN VON DRAKE. Einen gewöhnlichen Menschen hätte das womöglich ein wenig melancholisch gestimmt, aber gerade das Öde daran hatte etwas, das dem Gemüt eines Puritaners und dem Verstand eines Naturphilosophen zusagte. Angenommen, er hätte zwölf Kinder gehabt, hätte hundert Bücher geschrieben, hätte den Türken Dörfer und Städte abgenommen, wäre überall mit Statuen geehrt und dann in den Tower geworfen worden, um die Kehle durchgeschnitten zu bekommen. Lägen die Dinge dann anders? Oder wäre das alles nur bedeutungslose Nebensache, ein Haufen Eitelkeit, leerer Glanz,

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