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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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mich mit Geld beschäftige. Liselotte gehört jedoch nicht zu ihnen. Im Gegenteil, ich glaube, das erklärt, warum sie mich akzeptiert hat.
Nachdem ich nun zwei Jahre im Hofstaat von Mme. la Duchesse d’Oyonnax verbracht habe, umgeben von genau der Sorte ehrgeiziger junger Frauen, die Madame so sehr verachtet, kann ich verstehen, warum sie sie tunlichst meidet. Diese Mädchen haben sehr wenige Aktivposten: ihren Namen, ihren Körper und (falls sie das Glück hatten, bei ihrer Geburt damit ausgestattet worden zu sein) ihren gesunden Menschenverstand. Der erste von diesen – ihr Name und die damit verbundene Ahnentafel – genügt, um sie durchs Tor zu bringen. Er ist wie eine Einladung zum Ball. Die meisten dieser Familien haben jedoch mehr Verbindlichkeiten als Vermögenswerte. Hat eins dieser Mädchen erst einmal eine Stellung in einem Hofstaat in Versailles gefunden, bleiben ihr nur wenige Jahre, um Vorkehrungen für den Rest ihres Lebens zu treffen. Sie ist wie eine gepflückte Rose in einer Vase. Jeden Tag im Morgengrauen schaut sie aus dem Fenster und sieht, wie ein Gärtner eine Wagenladung verwelkter Blumen aufs Land hinauskarrt, wo sie als Mulch dienen, und die Ähnlichkeit zu ihrem eigenen Schicksal liegt auf der Hand. In ein paar Jahren wird sie auf allen Gesellschaften von jüngeren Mädchen überstrahlt werden. Ihre Brüder werden das gesamte Vermögen erben, das die Familie womöglich besitzt. Wenn sie eine gute Partie machen kann, so wie Sophie, hat sie vielleicht ein Leben, auf das sie sich freuen kann; wenn nicht, wird sie in irgendein Kloster verfrachtet, wie es zwei von Sophies hübschen und intelligenten Schwestern widerfahren ist. Wenn diese Verzweiflung gepaart ist mit der unbekümmerten, verantwortungslosen Art junger Menschen im Allgemeinen wird Grausamkeit zum Alltag.
Es ist nur vernünftig, dass Madame junge Frauen diesen Typs meiden möchte. Sie hat immer angenommen, ich sei eine von ihnen – hatte sie doch keine Möglichkeit, mich von den anderen zu unterscheiden. Aber in letzter Zeit ist ihr, wie gesagt, aufgefallen, dass ich mich mit Geldanlagen beschäftige. Das hebt mich ab – es zeigt ihr, dass ich Interessen und Vorzüge außerhalb der höfischen Intrigen habe und somit weniger gefährlich bin als andere. Im Grunde genommen behandelt sie mich jetzt, als hätte ich gerade einen reichen, gut aussehenden Herzog geheiratet und meine ganzen Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Statt einer abgeschnittenen Rose in einer Vase bin ich ein Rosenbusch mit lebendigen Wurzeln in fruchtbarem Boden.
Vielleicht interpretiere ich aber auch zu viel in eine kurze Unterhaltung hinein!
Sie fragte mich, ob die Jagd auf Qwghlm gut sei. Da ich weiß, wie sehr sie die Jagd liebt, sagte ich ihr, sie sei miserabel, es sei denn, mit Steinen auf Ratten zu werfen, gelte als gut – und wie es sich denn, bitte, mit der Jagd hier in Versailles verhalte? Damit meinte ich natürlich die weitläufigen Wildparks, die der König rund um das Schloss hatte anlegen lassen, aber Liselotte schoss zurück: »Draußen oder drinnen?«
»Ich habe gesehen, wie drinnen Wild erlegt wurde«, räumte ich ein, »aber nur durch Fallenstellerei oder Vergiftung, also niedere bäuerliche Methoden.«
»Sind die Qwghlmianer eher ein Leben im Freien gewöhnt?«
»Wenn auch nur, weil unsere Häuser immer wieder umgeweht werden, Madame.«
»Könnt Ihr reiten, Mademoiselle?«, fragte sie.
»Gewissermaßen – ich habe nämlich den ungesattelten Stil gelernt«, antwortete ich.
»Gibt es denn dort, woher ihr kommt, keine Sättel?«
»In alten Zeiten gab es welche, und wir hängten sie über Nacht auf Äste, um zu verhindern, dass kleine Tierchen sie auffraßen. Doch dann fällten die Engländer die Bäume, und deshalb ist es jetzt bei uns üblich, auf dem blanken Pferderücken zu reiten.«
»Das würde ich ja gern einmal sehen«, erwiderte sie, »aber schicklich ist das ja wohl kaum.«
»Wir sind Gäste im Haus des Königs und müssen uns nach seinen Schicklichkeitsnormen richten«, sagte ich pflichtschuldig.
»Wenn Ihr hier gut auf einem Sattel reiten könnt, werde ich Euch nach St-Cloud einladen – das ist mein Gut und dort könnt Ihr Euch nach meinen Regeln richten.«
»Glaubt Ihr, Monsieur hätte etwas dagegen einzuwenden?«
»Mein Gatte hat gegen alles, was ich tue, etwas einzuwenden«, antwortete sie, »und somit gegen nichts .«
In meinem nächsten Brief werde ich Euch wissen lassen, ob ich die Reitprüfung bestanden und die Einladung

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