Quicksilver
zu.«
»Dann seid Ihr derjenige, wie? Ihr seid derjenige, der Wilhelm von Oranien bestimmte Briefe übermittelt hat.«
»Mir fehlt jeder Anreiz, eine Antwort auf diese Frage zu liefern«, sagte Daniel, nachdem es ihm vor Entsetzen kurzzeitig die Sprache verschlagen hatte.
»Dann beantwortet mir die folgende: Habt Ihr Freunde namens Bob Carver und Dick Gripp?«
»Nie von den beiden gehört.«
»Seltsam, denn wir sind auf ein beim Schließer hinterlegtes Blatt mit schriftlichen Anweisungen gestoßen, denen zufolge ihr keinerlei Besucher haben dürft, außer Bob Carver und Dick Gripp, die zu den ausgefallensten Zeiten erscheinen dürfen.«
»Ich kenne sie nicht«, insistierte Daniel, »und bitte Euch, sie unter keinen Umständen in diese Kammer zu lassen.«
»Das ist viel verlangt, Herr Professor, denn die Anweisungen sind in Lord Jeffreys’ Handschrift geschrieben und von ebendiesem unterfertigt.«
»Dann müsst Ihr auch so gut wie ich wissen, dass Bob Carver und Dick Gripp gemeine Mörder sind.«
»Was ich weiß, ist, dass Lord Jeffreys Lordkanzler und seinen Befehl zu missachten ein Akt der Rebellion ist.«
»Dann bitte ich Euch zu rebellieren.«
»Ihr zuerst«, sagte der Sergeant.
Hannover, August 1688
Lieber Daniel,
ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo Ihr steckt, deshalb werde
ich das Folgende an den guten alten GRUBENDOL schicken und
bete darum, dass es Euch bei guter Gesundheit betrifft.
Bald begebe ich mich auf eine lange Reise nach Italien, wo ich darauf rechne, Beweise zu sammeln, die allfällige letzte Spinnweben des Zweifels hinwegfegen werden, welche Sophies Stammbaum noch anhaften mögen. Ihr müsst mich für einen Narren halten, dass ich der Genealogie so viel Arbeit widme, aber geduldet Euch, und Ihr werdet sehen, dass es dafür gute Gründe gibt. Ich werde auf dem Wege durch Wien kommen und, so Gott will, eine Audienz beim Kaiser erhalten, sodass ich ihm von meinen Plänen für die Universalbibliothek erzählen kann (das Silberbergbau-Projekt im Harz ist gescheitert – nicht weil meine Erfindungen fehlerhaft waren, sondern weil die Bergleute fürchteten, ihre Arbeit zu verlieren, und sich deshalb auf jede nur denkbare Weise gegen mich stellten – somit wird die Bibliothek, wenn es sie denn irgendwann geben wird, nicht aus Silberbergwerken, sondern aus der Schatulle irgendeines großen Fürsten finanziert werden).
Jede Reise birgt Gefahren, weshalb ich einiges niederschreiben und Euch schicken wollte, ehe ich Hannover verlasse. Es sind frische Gedanken – grüne Äpfel, die jedem Gelehrten, der sie konsumierte, Bauchgrimmen verursachen würden. Auf meiner Reise werden mir viele Stunden bleiben, sie in Worte zu fassen, die frommer (um die Jesuiten zu besänftigen), bombastischer (um die Scholastiker zu beeindrucken) oder einfacher (um den Salons zu schmeicheln) sind, und ich will hoffen, Ihr verzeiht mir, dass ich in schlichtem, nicht formellem Ton schreibe. Falls mir unterwegs ein Unglück zustößt, könnt Ihr oder irgendein künftiger Fellow der Royal Society den Faden dort aufnehmen, wo ich ihn habe fallen lassen.
Wenn wir uns umblicken, erkennen wir mühelos verschiedene Wahrheiten, nämlich dass der Himmel blau und der Mond rund ist, dass Menschen auf zwei und Hunde auf vier Beinen laufen und so fort. Einige dieser Wahrheiten wie etwa die, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eine Gerade ist, sind geometrischer Natur und unumstößlich, und man kommt auf keine vorstellbare Weise um sie herum. Vor Descartes nahm alle Welt an, solcher Wahrheiten gebe es wenige und Euklid und die anderen Alten hätten fast alle gefunden. Doch als Descartes sein Projekt begann, haben wir uns allesamt angewöhnt, Dinge in einem Raum abzubilden, der sich mittels Zahlen beschreiben ließ. Mittlerweile zeichnen wir zwei von Descartes’ Zahlenlinien, die sich im rechten Winkel schneiden, um eine Koordinatenebene zu definieren, der wir den Namen kartesische Koordinaten gegeben haben, und diese Vorstellung scheint sich durchzusetzen, denn man kann kaum noch irgendwo einen Hörsaal betreten, ohne einen Professor zu erblicken, der ein großes + an die Tafel zeichnet. Wie auch immer, als wir uns alle angewöhnten, Größe, Lage und Geschwindigkeit sämtlicher Dinge auf der Welt mithilfe von Zahlen, Linien, Kurven und anderen Konstruktionen zu beschreiben, die gelehrten Menschen seit Euklid geläufig sind, wurde es so etwas wie eine Mode, sämtliche Wahrheiten im Universum geometrisch zu
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