Quicksilver
doch dann hat er alles falsch gemacht, indem er die Bewegungsgröße so behandelte, als wäre sie ein Skalar, eine simple, richtungslose Zahl, wo sie doch in Wirklichkeit ein Vektor ist. Doch das ist ein unbedeutender Fehler. In einem System mit zwei orthogonalen Achsen ist reichlich Platz für Vektoren, wir zeichnen sie einfach als Pfeile auf die von mir so genannte kartesische Ebene, und siehe da, wir haben geometrische Gebilde, die geometrischen Regeln gehorchen. Wir können ihre Komponenten geometrisch hinzufügen, ihre Werte mit dem Satz des Pythagoras berechnen etc.
Doch bei diesem Ansatz ergeben sich zwei Probleme. Das eine ist die Relativität. Lineale bewegen sich. Es gibt keinen festen Bezugsrahmen zur Messung der Ausdehnung. Ein Geometer auf einem fahrenden Kanalboot, der die Geschwindigkeit eines fliegenden Vogels zu messen versucht, wird eine andere Zahl erhalten als ein Geometer am Ufer; und einer, der auf dem Rücken des Vogels ritte, würde überhaupt keine Geschwindigkeit messen.
Zweitens: die kartesische Bewegungsgröße, Masse multipliziert mit Geschwindigkeit ( mv ), wird von fallenden Körpern nicht erhalten. Doch indem man ein sehr einfaches Experiment durchführt oder auch nur sich vorstellt, kann man zeigen, dass von solchen Körpern das Produkt aus Masse mal dem Quadrat der Geschwindigkeit ( mv 2 ) erhalten wird.
Diese Größe mv 2 hatte gewisse interessante Eigenschaften. Zum einen misst sie die Menge an Arbeit, die ein sich bewegender Körper zu leisten imstande ist. Die Arbeit ist etwas, das absolute Bedeutung hat, sie ist frei von dem Problem der Relativität, das ich eben angesprochen habe, ein Problem, das unvermeidlich allen Theorien anhaftet, die auf dem Gebrauch von Linealen fußen. In dem Ausdruck mv 2 ist die Geschwindigkeit ins Quadrat gesetzt, d.h. sie hat ihre Richtung verloren und besitzt keine geometrische Bedeutung mehr. Während man mv auf der kartesischen Ebene zeichnen und sämtlichen Kniffen und Techniken des Euklid unterwerfen kann, vermag man das mit mv 2 nicht, denn indem die Geschwindigkeit ins Quadrat gesetzt worden ist, hat sie ihre Direktionalität verloren und, wenn ich metaphysisch werden darf, die geometrische Ebene transzendiert, um in ein neues Reich, das Reich der Algebra, einzutreten. Diese Größe mv 2 wird von der Natur gewissenhaft erhalten, und ihre Erhaltung kann sogar als universales Gesetz gelten – aber es liegt außerhalb der Geometrie und wird von der Kuppel, die Newton gebaut hat, nicht umschlossen, es ist eine weitere kontingente, nichtgeometrische Wahrheit, eine von vielen, die von Naturphilosophen entdeckt worden sind oder künftig noch entdeckt werden. Sollen wir also wie Newton sagen, dass solche Wahrheiten willkürlich von Gott verfertigt werden? Sollen wir solche Wahrheiten im Okkulten suchen? Denn wenn Gott diese Regeln willkürlich erlassen hat, sind sie ihrem Wesen nach okkult.
Für mich ist diese Vorstellung anstößig; sie scheint Gott die Rolle eines launischen Despoten zuzuweisen, der die Wahrheit vor uns zu verbergen wünscht. In einigen Dingen, wie etwa dem Satz des Pythagoras, mag Gott keine Wahl gehabt haben, als Er die Welt schuf. In anderen, wie etwa dem Gesetz des inversen Quadrats der Schwerkraft, mag Er Alternativen gehabt haben. Ich glaube lieber, dass Er sich weise entschieden haben dürfte und gemäß einem stimmigen Plan, den unser Verstand – insofern er nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde – zu verstehen imstande ist.
Im Gegensatz zu den Alchimisten, die allerorten Engel, Dämonen, Mirakel und göttliche Essenzen sehen, erkenne ich in der Welt nichts als Körper und Geist. Und in Körpern nichts als beobachtbare Quantitäten wie Größe, Gestalt, Lage und Veränderungen derselben. Alles andere wird bloß behauptet, nicht verstanden; es sind Laute ohne Sinn. Ebenso kann nichts in der Welt richtig verstanden werden, sofern es nicht auf die genannten Größen reduziert wird. Sofern Physisches sich nicht mithilfe mechanischer Gesetze erklären lässt, kann uns Gott, selbst wenn Er will, die Natur nicht offenbaren und erklären.
Ich werde wohl den Rest meines Lebens damit verbringen, denen, die mir zuhören, diese Gedanken zu erklären und sie gegen die anderen zu verteidigen, und alles, was Ihr künftig von mir hört, Daniel, solltet Ihr in diesem Licht sehen. Falls die Royal Society dazu neigt, mich in effigie zu verbrennen, so versucht den Fellows bitte zu erklären, dass ich das von Newton vollbrachte Werk zu
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