Quicksilver
angesammelt hatte. In den einen legte ich, unmittelbar auf die Sohle des Schuhs, eine Eisenstange. In den anderen packte ich Salz vom selben Gewicht, das aus einem zerbrochenen Fass hervorgequollen war. Das Gewicht der Schuhladung war zwar in beiden Fällen gleich, seine Verteilung jedoch nicht, denn das Salz war gleichmäßig in dem ganzen Schuh verteilt, während die Eisenstange in seiner »Bilge« konzentriert war. Als ich die beiden Schuhe zum Schaukeln brachte, konnte ich mühelos beobachten, dass der mit Eisen beladene mit einer langsameren, schwerfälligeren Bewegung schaukelte, da sein ganzes Gewicht weit von der Achse der Bewegung entfernt war.
Nachdem ich M. LeBrun wieder mit seinen Schuhen vereint hatte, ging ich zu meiner Position auf dem Schiffsdeck zurück, diesmal mit einer Uhr in der Hand, die ich von Monsieur Huygens bekommen hatte. Zuerst maß ich damit die Zeit von hundert Schaukelbewegungen des chalands , auf dem ich mich befand, und dann begann ich, dasselbe mit anderen chalands auf dem Fluss zu machen. Die meisten von ihnen schaukelten ungefähr mit derselben Frequenz wie den von M. LeBrun. Mir fielen jedoch zwei auf, die sehr langsam schaukelten. Natürlich begann ich, diese chalands , wann immer sie in Sicht kamen, genauer unter die Lupe zu nehmen, und machte mich mit ihrem Aussehen allgemein und ihren Besatzungen vertraut. Zu meiner Enttäuschung zeigte sich, dass der erste mit Bruchsteinen beladen war. Natürlich hatte man sich nicht die Mühe gemacht zu verbergen, was er geladen hatte. Später sah ich aber einen, der voller Fässer gewesen war.
M. LeBrun glaubt jetzt wirklich, ich wäre ein Dummkopf, aber das hat nichts zu bedeuten, da ich nicht mehr sehr lange mit ihm zusammen sein werde.
TAGEBUCHEINTRAG 28. AUGUST 1688
Inzwischen habe ich die ganze Champagne durchquert und bin in St-Dizier angekommen, wo die Marne sich der Grenze zu Lothringen nähert und dann in südliche Richtung abbiegt. Ich muss nach Osten und Norden, deshalb steige ich hier aus. Die Reise verlief langsam, aber ich habe Dinge wahrgenommen, die ich übersehen hätte, wäre sie anregender gewesen, und auf einem langsamen Schiff in ruhiger Landschaft in der Sonne zu sitzen, war gar nicht so übel. Wie sehr ich auch an meinen Überzeugungen hänge, so merke ich doch, dass meine Entschlossenheit nach ein paar Wochen bei Hofe nachlässt. Die Menschen dort sind einfach so wohlhabend, mächtig, attraktiv und anmaßend, dass es nach einer Weile unmöglich ist, ihren Einfluss nicht zu spüren. Anfangs bewirkt er nur eine unmerkliche Abweichung, aber am Ende fällt man doch in die Umlaufbahn um den Sonnenkönig.
Das Gebiet, durch das ich gekommen bin, ist flach und im Gegensatz zu Westfrankreich offen und nicht durch Baumhecken und Zäune aufgeteilt. Auch ohne Landkarte kann man erahnen, dass jenseits im Norden und Osten ein weites Reich liegt. Die Wendung »wie die Made im Speck« kann man hier fast wörtlich verstehen, denn die Kornfelder reifen vor meinen Augen wie fetter Rahm, der aus der fruchtbaren Erde aufsteigt. Als jemand, der an einem kalten felsigen Ort geboren ist, finde ich, dieses Land sieht aus wie das Paradies. Wenn ich es aber mit den Augen eines Mannes, eines mächtigen Mannes betrachte, sehe ich, dass es danach verlangt, eingenommen zu werden. Es ist dicht mit dem Futter und dem Brennstoff des Kriegs bedeckt, Krieg wird es bestimmt in der einen oder anderen Richtung überziehen, und deshalb ist es am besten, ihn zu einem selbst gewählten Zeitpunkt von sich fortzuschicken, statt darauf zu warten, dass er den Horizont verdunkelt und auf einen zugefegt kommt. Es ist für jedermann offensichtlich, dass Frankreich solange über diese Felder hinweg überfallen wird, solange es sein Hoheitsgebiet nicht bis zur natürlichen Grenze des Rheins ausdehnt. Eine Grenze, die in eine solche Landschaft eingebettet ist, wird niemals Bestand haben.
Das Schicksal hat Ludwig vor die Wahl gestellt: Er kann versuchen, seinen Einfluss über England zu erhalten, was ein sehr unsicheres Unterfangen ist und letztlich nicht zur Sicherheit von Frankreich beiträgt, oder er kann bis zum Rhein marschieren, die Pfalz einnehmen und Frankreich für immer gegen Deutschland sichern. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass dies der klügere Weg ist. Doch als Spionin habe ich nicht die Aufgabe, Könige zu beraten, wie sie regieren sollten, sondern zu beobachten, wie sie es tun.
St-Dizier, wo ich gleich aussteigen werde, ist ein
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