Quicksilver
keinerlei Vermögen. Ich dagegen hatte keinen Titel außer Sklavin und Landstreicherin, besaß aber etwas Geld. Jedenfalls durften sie und Caroline gnädigerweise in so etwas wie einer Jagdhütte der herzoglichen Familie im Thüringer Wald wohnen. Allerdings war Eleonore, wie es scheint, in Eisenach nicht viel willkommener, als sie es nach dem Tod ihres Mannes in Ansbach gewesen war. So hat sie es sich zur Gewohnheit gemacht, einen Teil des Jahres in Eisenach zu verbringen, die übrige Zeit jedoch umherzuziehen, entfernten Verwandten im ganzen nördlichen Europa ausgedehnte Besuche abzustatten und immer rechtzeitig weiterzureisen, um sich nirgendwo die freundliche Aufnahme zu verscherzen.
In dem Bemühen, die Beziehung zu ihrem feindseligen Stiefsohn wieder ins Lot zu bringen, machte sie unlängst einen kurzen Besuch in Ansbach. Ansbach liegt in der Nähe von Mannheim am Rhein, und so fuhren sie und Caroline als Nächstes dorthin, um bei ein paar Verwandten vorbeizuschauen, die ihnen in der Vergangenheit hilfreich unter die Arme gegriffen hatten. Natürlich trafen sie zum allerschlechtesten Zeitpunkt ein, vor ein paar Tagen, als die französischen Regimenter auf den in Haguenau gebauten Barken über den Rhein ausschwärmten und die Verteidigungsanlagen bombardierten. Irgendjemand dort besaß die Geistesgegenwart, sie in ein Boot voller betuchter Flüchtlinge zu schieben, das flussabwärts losfuhr.
Und so kamen sie rasch aus der Gefahrenzone heraus, hörten aber noch einen ganzen Tag oder länger Kanonendonner das Rheintal heraufhallen. Sie erreichten Nijmegen ohne Zwischenfall; allerdings war das Boot so mit Flüchtlingen voll gestopft – von denen manche nässende Wunden hatten -, dass sie nur hin und wieder ein Nickerchen hatte machen können. Als sie über die Laufplanke aus dem Boot stiegen, erkannte Joachim – der in der Pfalz ein Mann von Stand ist – sie und brachte sie zu mir.
Jetzt spült die Strömung des Rheins uns und eine Menge anderes Kriegsstrandgut flussabwärts in Richtung Meer. Ich habe oft Franzosen wie Deutsche geringschätzig über die Niederlande reden hören: Sie verglichen das Land mit einem Rinnstein, der alle Abfälle und Exkremente des Christentums sammelt, aber nicht die Kraft besitzt, sie ins Meer hinauszuschwemmen, sodass sie sich in einer Barre um Rotterdam herum anhäufen. Es ist eine grausame und absurde Art, über ein nobles und tapferes kleines Land zu reden. Wenn ich jedoch meine Situation anschaue und die der Prinzessinnen und unsere jüngsten Reisen Revue passieren lasse [bei denen wir in dunklen und gefährlichen Gegenden umhertappten, bis wir auf fließendes Gewässer stießen und uns stromabwärts treiben ließen], kann ich in dieser Verleumdung so etwas wie eine grausame Wahrheit entdecken.
Allerdings werden wir uns nicht ins Meer hinausspülen lassen. In Rotterdam weichen wir vom natürlichen Flussverlauf ab und folgen einem Kanal nach Den Haag. Dort können die Prinzessinnen Zuflucht finden, genau wie die Winterkönigin am Ende ihrer Wanderungen. Und ich werde dort versuchen, dem Prinzen von Oranien einen zusammenhängenden Bericht abzuliefern. Dieses Stück Stickarbeit ist ruiniert, bevor es fertig ist, aber es enthält die Information, auf die Wilhelm gewartet hat. Wenn ich meinen Bericht beendet habe, werde ich vielleicht ein Kissen daraus machen. Alle, die es sehen, werden sich darüber wundern, dass ich so dumm bin, ein so schmutziges, fleckiges, ausgebleichtes Ding im Haus zu behalten. Aber ich werde es ihnen zum Trotz aufbewahren. Inzwischen ist es etwas Wichtiges für mich geworden. Als ich damit anfing, wollte ich es nur benutzen, um Einzelheiten französischer Truppenbewegungen und Ähnliches zu notieren. Doch als die Wochen vergingen und ich oft eine Menge Zeit zur Verfügung hatte, um mich mit meiner Handarbeit zu beschäftigen, fing ich an, einige der Gedanken und Gefühle zu dem, was um mich herum vor sich ging, festzuhalten. Vielleicht tat ich das aus Langeweile; vielleicht aber auch, damit ein Teil von mir weiterlebt, falls ich getötet oder unterwegs gefangen genommen werde. Es mag töricht klingen, so etwas zu tun, aber eine Frau, die keine Familie und nur wenige Freunde hat, lebt immer am Rand einer tiefen Verzweiflung, die aus der Angst entsteht, dass sie von der Welt verschwinden könnte, ohne den geringsten Hinweis darauf zu hinterlassen, dass sie jemals existiert hat; dass die Dinge, die sie getan hat, bedeutungslos sein und die Vorstellungen,
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