Quicksilver
Freunden klar, dass es, wenn dieser Herr dort ernsthaft Schaden nimmt, einen Zeugen gibt, der eine Geschichte erzählen kann, bei der sich einem Richter die Perücke sträubt.«
Und damit trat Daniel auf einen grob gezimmerten Holzsteg hinaus, der je nachdem, von wo man ihn betrachtete, auf den Namen Veranda oder Pier hören mochte. Theoretisch könnte man Boote mit wenig Tiefgang an ihn heranstaken und daran festmachen, in der Praxis aber hatte man sie auf den Schlamm gezogen, der sich eine Hufeisenwurfweite von den unten überkrusteten Pfählen erstreckte. Die Spuren der Bootsführer waren geschwollene Wunden im Watt und Schlammspritzer auf den Planken. Eine halbe Meile weit draußen, an der breiten Stelle, wo der Medway in die Themse mündete, lagen diverse Schiffe vor Anker. Es war Ebbe! James, der Seeheld, der Admiral, der gegen die Holländer gekämpft und sie manches Mal geschlagen, der mit dem fernen Donner seiner Kanonen Isaac Newtons Ohren zum Klingen gebracht hatte, war genau zum falschen Zeitpunkt aus London fortgaloppiert. Wie König Kanut würde er auf die Flut warten müssen. Es war einfach zu schrecklich.Von dem Ritt erschöpft, dazu verurteilt, ein paar Stunden totzuschlagen, musste der König in diese Schänke spaziert sein – und warum auch nicht? Überall, wo er je eingetreten war, waren ihm die Leute mit gebeugtem Knie zu Diensten gewesen. Aber James, der nicht trank und nicht fluchte, der stotterte und das Englisch der Fischer nicht beherrschte, hätte genauso gut in einem Hindutempel sein können. Er hatte die übliche blonde Perücke gegen eine dunkle vertauscht, und sie war ihm gleich zu Beginn der Rauferei heruntergeschlagen worden und hatte einen halb kahlen Kopf entblößt, schütteres, hellblondes Haar, zu einem Caesarenschnitt gestutzt und von Schweiß und Fett an seinen mit Pusteln übersäten Schädel geklatscht. Perücken ermöglichten es einem, über das Alter des Trägers hinwegzusehen. Daniel hatte einen merkwürdig aussehenden Kerl gesehen, fünfundfünfzig Jahre alt, mit seinem Latein am Ende.
Er hatte allmählich das Gefühl, mit diesem syphilitischen papistischen Despoten mehr gemeinsam zu haben als mit den Einwohnern von Sheerness. Es passte ihm nicht, wohin ihn seine Gefühle führten. Deshalb ließ er sich von seinen Füßen woandershin führen – zur euphemistisch so genannten Hauptstraße von Sheerness, zu einem Gasthaus, wo eine ungewöhnliche Anzahl gut gekleideter Herren durcheinander liefen, die Hände rangen und nach den Hühnern traten. Diese Herren, einschließlich Daniel, waren nur wenige Stunden nach ihrem fliehenden König eiligst von London gekommen, und zwar aus der Vermutung heraus, dass ihnen, wenn der Souverän London verließ und sie in der Stadt verweilten, etwas Wichtiges entgehen musste. Falsch!
Er ging hinein, erzählte alles Ailesbury, dem königlichen Kammerjunker, und wandte sich zum Gehen; hatte aber gleich darauf praktisch Sporenschrammen auf der Kehrseite, da jeder Höfling als Erster an Ort und Stelle sein wollte. Für Daniel wurde ein Pferd auf den Hof vor den Stallungen geführt. Als er aufsaß und sich damit auf die gleiche Ebene wie alle anderen Reiter erhob, fiel ihm auf, dass mehrere Gesichter in seine Richtung blickten, keines davon sehr geduldig. Und so ritt er, ohne das Gefühl von romantischer Dramatik zu teilen, das die anderen beseelte, auf die Straße hinaus und führte sie in munterem Galopp zurück zum Fluss. Für nicht informierte Zuschauer nahm sich das Ganze wohl wie eine Jagdgesellschaft von Kavalieren aus, die einen Rundkopf verfolgte, was, wie Daniel hoffte, keine Vorwegnahme der kommenden Ereignisse war.
Als sie die Schänke erreichten, drängte sich eine verblüffende Anzahl von Standespersonen hinein, die mit Stentorstimme Ankündigungen vom Stapel zu lassen begannen. Nun hätte man damit rechnen können, dass Betrunkene und Taugenichtse aus Fenstern und Falltüren gewuselt kämen wie Mäuse, wenn die Laterne entzündet wird, aber kein Mensch verließ das Gebäude, nicht einmal, nachdem bekannt gegeben worden war, dass man sich in Gegenwart des Königs befand. Es schien, mit anderen Worten, auf Seiten der Halbwelt des Hafens von Sheerness eine generelle Unfähigkeit vorzuliegen, die Vorstellung der Monarchie ernst zu nehmen.
Daniel verharrte noch eine Zeit lang draußen. Gerade ging hinter einer zerklüfteten Wolkenfront die Sonne unter und warf dicke Strahlen grellen Lichts über die Mündung des Medway:
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