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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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es mehrere Möglichkeiten gab, den Fluss zu überqueren. Doch während einer Invasion durch ausländische Truppen den Weg über einen Flottenstützpunkt zu nehmen, schien nicht unbedingt die sinnvollste Art, von A nach B zu kommen.
    Er tat so, als ließe er sein Pferd am Landungssteg der Fähre ein paar Minuten ausruhen, und trieb währenddessen, so weit möglich, ein wenig halbherzige Spionage. Die Sonne war mittlerweile definitiv untergegangen, und alles war dunkelblau vor einem Hintergrund von noch dunklerem Blau. Das Schloss machte Front gegen das Westufer des Flusses und war in seine eigenen Schatten gehüllt. Doch in einigen Fenstern, zumal in den Nebengebäuden, brannte Licht. In dem ausgebaggerten Kanal nahebei lag ein schnittiger Zweimaster vor Anker.
    Als die Holländer im Jahre’67 hierher gesegelt waren und im Zuge eines gemütlichen dreitägigen Raubzuges einige Kriegsschiffe Charles’ II. gestohlen und diverse andere verbrannt hatten, hatte Castle Upnor sich ganz gut gehalten: Man hatte nicht kapituliert und aufs Geratewohl auf jeden Holländer geschossen, der auch nur halbwegs in Schussweite kam. Der Glanz dieser Tat hatte auch den Earl von Upnor besonnt, dessen Ärger mit Spielschulden und der Hysterie um eine papistische Verschwörung zu diesem Zeitpunkt noch in der Zukunft lag. Doch dass die wichtigste Marinewerft von Holländern unsicher gemacht wurde, war selbst für einen schlampigen Außenpolitiker wie Charles II. peinlich. Also hatte man seither in der Nachbarschaft moderne Verteidigungsanlagen mit richtigen Schanzen gebaut und Castle Upnor auf den Status eines riesigen Pulvermagazins, einer Art vorgeschobenem Schießpulverdepot für den Tower von London, herabgestuft – und damit stillschweigend zu verstehen gegeben, dass es keinen Menschen scherte, wenn es in die Luft flog. Vom Tower kamen häufig Pulverkähne hierher und machten an der Stelle fest, die heute Abend der Zweimaster beanspruchte.Von Schiffen verstand Daniel nur wenig, aber sogar ein Bauer hätte erkennen können, dass dieses hier im Heck mehrere Kajüten hatte, wohlversehen mit Fenstern, hinter deren zugezogenenVorhängen und geschlossenen Läden Licht brannte. Louis Anglesey kam selten hierher – warum auch sollte irgendein halbwegs normaler Earl sich in einen klammen Steinklotz begeben, um dort auf Pulverfässern zu sitzen? Und doch gab es in schwierigen Zeiten ungünstigere Orte, an die man sich absetzen konnte. Holländischen Kanonenkugeln mochten die Steinmauern zwar nicht widerstehen, aber einen protestantischen Pöbel würden sie wochenlang aufhalten, und der Fluss lag nur ein paar Schritte entfernt; sobald Upnor an Bord seines Schiffs ging, war er schon so gut wie in Frankreich.
    Auf dem Schloss waren Wachen postiert, die sich ihre Piken an die Brust drückten, damit sie die Fäuste in die Achselhöhlen stecken konnten; den Blick vorwiegend nach draußen, in Richtung der römischen Straße gerichtet, plauderten sie miteinander und drehten sich nur gelegentlich um, um irgendein Stückchen häuslicher Komödie mitzubekommen, das sich innerhalb der Mauern abspielte. Kartoffelschalen und Hühnerfedern trieben auf dem Altwasser des Flusses, und Daniel roch einen Hauch von Hefe im Wind. Mit anderen Worten, es gab dort einen funktionierenden Haushalt. Daniel kam zu dem Schluss, dass Upnor im Augenblick nicht hier war, aber erwartet wurde. Vielleicht nicht heute Abend, aber bald.
    Er ließ Castle Upnor hinter sich und machte sich wieder daran, allein im Dunkeln durch England zu reiten, eine Beschäftigung, mit der er sein halbes Leben zugebracht zu haben schien. Nun, da er den Medway überquert hatte, lagen zwischen ihm und London, das ungefähr fünfundzwanzig Meilen entfernt war, eigentlich keine Hindernisse mehr. Selbst wenn es keine Römerstraße gegeben hätte, der er folgen konnte, hätte er den Weg wahrscheinlich dadurch finden können, dass er einfach von einem Feuer zum nächsten ritt. Die einzige Gefahr bestand darin, dass irgendein Pöbel ihn für einen Iren hielt. Dass Daniel überhaupt nicht wie ein Ire aussah, war unerheblich – es schwirrten Gerüchte herum, James habe eine ganze Legion keltischer Rächer herangeschafft. Zweifellos wäre so mancher Engländer heute Nacht damit einverstanden gewesen, dass man fremde Reiter zuerst verbrennen und nach Abkühlung der Asche aufgrund ihrer Gebissmerkmale identifizieren sollte.
    Und so war die ganze Strecke ein ständiger Wechsel zwischen Langeweile und panischer

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