Quicksilver
drohendes Verhängnis auf Daniel zukam. Endlich auf festem Boden angelangt, scheuchte Wilkins mit einem kühnen Schwenken des Arms hundert Bienen fort. Sie wischten sich Bienen von den Handflächen und schüttelten sich lange und herzlich die Hand. Die Bienen verloren insgesamt das Interesse und entfernten sich nach und nach in Richtung eines großen, schimmernden Glaskastens. »Das ist Wrens Konstruktion, kommt und seht sie Euch an!«, sagte Wilkins und stolperte hinter den Insekten her.
Bei dem Glasgebilde handelte es sich um das Modell eines Gebäudes mitsamt geblasener Kuppel und aus Kristall geschnittenen Säulen. Es war von gotischer Bauart und vermittelte insgesamt den Eindruck eines Ministeriums in London oder eines Universitäts-College. Türen und Fenster waren offen, damit die Bienen ein und aus fliegen konnten. Sie hatten drinnen einen Stock – eine Kathedrale aus Waben – gebaut.
»Bei allem Respekt für Mr. Wren sehe ich hier doch eine Unvereinbarkeit architektonischer Stile -«
»Was! Wo?«, rief Wilkins und musterte die Dachsilhouette auf ästhetische Missgriffe. »Ich werde den Burschen züchtigen!«
»Es liegt nicht am Baumeister, sondern an den Bewohnern. Alle diese kleinen Sechsecke aus Wachs – sie passen nicht zu Mr. Wrens Entwurf, nicht wahr?«
»Welchen Stil bevorzugt Ihr denn?«, fragte Wilkins boshaft.
»Äh -«
»Ehe Ihr antwortet, müsst Ihr wissen, dass Mr. Hooke im Anmarsch ist«, flüsterte der Reverend mit einem Seitenblick. Daniel schaute zum Haus hinüber und sah Hooke auf sie beide zukommen, gebeugt, grau und durchscheinend wie eines jener merkwürdigen Gebilde, die einem gelegentlich über den Augapfel schweben.
»Geht es ihm gut?«, fragte Daniel.
»Die üblichen Anwandlungen von Melancholie – eine gewisse Gereiztheit angesichts des Mangels an abenteuerlustigen Frauen -«
»Ich meinte, ob er krank ist.«
Vom Quaken der Frösche angezogen, war Hooke bei Daniels Gepäck stehen geblieben. Er trat näher und ergriff den Korb.
»Ach was, er sieht immer so aus, als verblute er seit Stunden – fürchtet lieber um die Frösche als um Hooke!«, sagte Wilkins. Er trug ständig eine wissende, amüsierte Miene zur Schau, dank deren er sich fast jede Äußerung erlauben konnte. In Verbindung mit einem gelegentlichen taktischen Meisterstreich (wie etwa der Heirat mit Cromwells Schwester während des Interregnums) erklärte sie vermutlich seine Fähigkeit, Bürgerkriege und Revolutionen zu überstehen, als handele es sich bloß um Theateraufführungen. Unter pantomimischer Darstellung eines schlimmen Rückens bückte er sich vor dem Bienenhaus, griff darunter und förderte nach einigem dramatischen Herumstöbern ein Glas zu Tage, auf dessen Boden ein, zwei Zoll trüber, brauner Honig standen. »Wie Ihr seht, hat Mr.Wren auch für eine Kanalisation gesorgt«, sagte er und reichte Daniel das Glas. Es war körperwarm. Der Reverend strebte nun dem Haus zu, und Daniel folgte ihm.
»Ihr sagt, Ihr habt Euch in Epsom in Quarantäne begeben – Ihr müsst dort für Unterkunft bezahlt haben – das heißt, Ihr verfügt über Taschengeld. Drake muss es Euch gegeben haben. Was um alles in der Welt habt Ihr ihm nur erzählt, weswegen Ihr hierher kommt? Ich muss es nur wissen«, fügte Wilkins entschuldigend hinzu, »damit ich ihm gelegentlich schreiben kann, dass Ihr es tatsächlich tut.«
»Ich müsse mit dem Allerneuesten vom Kontinent auf dem Laufenden bleiben oder dergleichen. Ich soll ihn im Voraus vor allen Ereignissen warnen, die eindeutig dem Weltuntergang zuzurechnen sind.«
Wilkins strich sich über einen unsichtbaren Bart, nickte gewichtig und trat gleichzeitig zurück, sodass Daniel vorwärts stürzen und die Cottagetür aufzerren konnte. Sie gelangten in das Vorderzimmer, wo in einem riesigen Kamin ein Feuer verglomm. Zwei, drei Zimmer weiter kreuzigte Hooke gerade einen Frosch auf einem Brett und fluchte ab und zu, wenn er sich auf den Daumen schlug. »Vielleicht könnt Ihr mir bei meinem Buch helfen...«
»Einer Neuausgabe des Cryptonomicon?«
» Gott bewahre! Hol’s der Kuckuck, fast hätte ich das alte Ding vergessen. Habe es vor einem Vierteljahrhundert geschrieben. Bedenkt, was für Zeiten damals herrschten! Der König war dabei, den Verstand zu verlieren – seine Minister wurden im Parlament gelyncht – seine eigenen Zugbrückenwärter verwehrten ihm den Zugang zu seinen Arsenalen. Seine Feinde fingen Briefe seiner Frau, dieser französischen Papistin, ab, in
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