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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und SCHLANGENGIFTZÄHNE. In eine Ecke geschoben ein Haufen staubiger, rostiger, scharfer und spitzer Gegenstände: Messerklingen, Nadeln, Rasiermesser. Wahrscheinlich ergäbe sich hier Anlass zu einem kränkenden Bonmot: Schenkte man Hooke ein Rasiermesser, würde er es eher unter sein Mikroskop legen, als sich damit rasieren.
    Da die Warterei kein Ende nahm, beschloss Daniel, dass er sich genauso gut weiterbilden konnte. Also griff er vorsichtig in den Haufen spitzer und scharfer Gegenstände, zog eine Nadel heraus und ging damit zu einem Tisch hinüber, wo Sonnenlicht einfiel (Hooke hatte sämtliche nach Süden gehenden Zimmer des Cottage mit Beschlag belegt, um das Licht zu besitzen). Dort befand sich, an einem kleinen Gestell befestigt, eine Röhre, ungefähr so groß wie ein zusammengerolltes Blatt Schreibpapier, mit einer Linse zum Hindurchschauen am oberen und einer zweiten, viel kleineren – kaum größer als das Auge eines Huhns – am unteren Ende, gerichtet auf ein kleines Gestell, das vom Sonnenlicht hell erleuchtet war. Daniel legte die Nadel auf das Gestell und spähte durch das Mikroskop.
    Er rechnete damit, einen schimmernden, spiegelähnlichen Schaft zu erblicken, sah stattdessen aber einen schrundigen Stab. Die scharfe Spitze der Nadel erwies sich als abgerundeter, löchriger Schlackenhaufen.
    »Mr. Waterhouse«, sagte Hooke, »wenn Ihr mit dem, was Ihr da tut, fertig seid, soll mir mein Merkur, die treue Seele, weiterhelfen.«
    Daniel stand auf und drehte sich um. Einen Moment lang dachte er, Hooke habe ihn gebeten, etwas Quecksilber – Mercurium – zu holen (Hooke trank es ab und zu als Heilmittel gegen Kopfschmerzen, Schwindel und andere Beschwerden). Aber Hookes riesige Augen waren stattdessen auf das Mikroskop gerichtet.
    »Natürlich!«, sagte Daniel. Merkur, der Götterbote – der Überbringer von Informationen.
    »Was haltet Ihr denn nun von Nadeln?«, fragte Hooke.
    Daniel nahm die Nadel weg und hielt sie vor dem Fenster hoch, sah sie jetzt in einem neuen Licht. »Ihr Aussehen ist fast schon physisch abstoßend«, sagte er.
    »Ein Rasiermesser sieht schlimmer aus. Es zeigt alle möglichen Formen, nur nicht die, die es haben müsste«, sagte Hooke. »Deshalb schaue ich mir auch nichts mehr unter dem Mikroskop an, was von Menschenhand stammt – das Grobe und Stümperhafte jedes Menschenwerks beleidigt das Auge. Dinge hingegen, von denen man erwarten würde, dass sie abstoßend aussehen, werden schön, wenn man sie vergrößert – Ihr dürft Euch meine Zeichnungen ansehen, während ich die Neugier des Königs befriedige.«

    Hooke deutete auf einen Stapel Papier und ging dann mit einem Exemplar eines Ameiseneis zum Mikroskop, während Daniel die Blätter durchzusehen begann.
    »Sir, ich habe nicht gewusst, dass Ihr ein Künstler seid«, sagte Daniel.
    »Als mein Vater starb, hat man mich zu einem Porträtmaler in die Lehre gegeben«, sagte Hooke.
    »Euer Meister hat Euch viel beigebracht -«
    »Nichts hat er mir beigebracht, der Esel«, sagte Hooke. »Jeder halbwegs Intelligente kann alles über Malerei lernen, was es zu wissen gibt, indem er sich vor Gemälde stellt und sie betrachtet. Welchen Sinn hatte es also, Lehrling zu sein?«
    »Dieser Floh ist ein großartiges Beispiel von -«
    »Das ist keine Kunst, sondern eine höhere Form von Stümperei«, widersprach Hooke. »Als ich diesen Floh unter dem Mikroskop betrachtet habe, konnte ich in seinem Auge ein komplettes und vollkommenes Spiegelbild von John Comstocks Park samt Herrenhaus sehen – die Blüten auf den Blumen, die in den Fenstern sich bauschenden Vorhänge.«
    »Für mich ist es großartig«, sagte Daniel. Er war aufrichtig – wollte kein schmeichlerischer Schmarotzer oder hinterlistiger Bube sein.
    Doch Hooke wurde nur gereizt. »Ich sage es Euch noch einmal. Wahre Schönheit findet sich in natürlichen Formen. Je stärker wir Künstliches vergrößern und je genauer wir es untersuchen, desto gröber und dümmer erscheint es. Wenn wir dagegen die natürliche Welt vergrößern, wird sie komplizierter und erhabener.«
    Wilkins hatte Daniel gefragt, was ihm lieber sei: Wrens gläsernes Bienenhaus oder die darin befindliche Wabe. Dann hatte er Daniel darauf aufmerksam gemacht, dass Hooke sich auf Hörweite näherte. Nun verstand Daniel, warum: Für Hooke konnte es nur eine Antwort geben.
    »Ich beuge mich Euch, Sir.«
    »Danke, Sir.«
    »Doch ohne wie ein spitzfindiger Jesuit erscheinen zu wollen, würde ich gerne wissen, ob

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