Quipu
eilen konnten.
In der Färberei konnte Qaytu dann einen seiner jüngeren Brüder retten, der mit ihm darauf zu dem Schuppen mit den Webstühlen rannte, in dem sich ihre Eltern befanden. Der Anblick war abscheulich. Und ebenso der Gestank nach Exkrementen. Hier arbeiteten Menschen aller Altersstufen, vom Kind bis zum Greis. Alle waren sie nur noch Haut und Knochen und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten, so geschwächt waren sie. Die meisten waren mit einer Kette über der Brust an ein dickes Brett gefesselt, das ihnen auch als Bett dienen musste. Qaytus Eltern umamten ihre Söhne schluchzend.
Kaum waren alle in Sicherheit, stürmte Sebastián mit dem Degen in der Hand zu Carvajals Haus, an dessen Vorderfront bereits die Flammen hochzüngelten.
Der Haupteingang des Gutshauses war nicht mehr betretbar. Die Treppe brannte lichterloh. Ohne Zeit zu verlieren,lief Sebastián um das Gebäude herum, bis er ein Fenster im ersten Stock entdeckte. Suchend sah er sich nach etwas um, auf das er klettern konnte, und entdeckte einen jener mechanischen Webstühle, die Carvajal auf dem Schiff mitgeführt hatte und der noch nicht zusammengebaut war. Diesen zerrte er zur Wand und kletterte hinauf.
Kurz darauf konnte er vom Fenstersims aus erkennen, dass das Feuer sich bereits in Richtung der Pulvermühlen ausbreitete. Im Dach befand sich ein Oberlicht, durch das das Treppenhaus beleuchtet wurde, von dem die Zimmer abgingen. Die ganze Vorderseite des Hauses stand schon in Flammen. Er riss sich das feuchte Tuch vom Mund.
|318| »Umina!«, rief er verzweifelt.
Er erhielt keine Antwort.
»Umina! Ich bin es, Sebastián!«, rief er erneut. »Wo bist du?«
Er schrie, bis seine Stimme versagte und er husten musste. Aber er musste herausfinden, wo sie sich befand, und sie befreien, ehe es zu spät war.
|319| Zwischen zwei Feuern
P lötzlich glaubte er durch die prasselnden Flammen hindurch Uminas erstickte Stimme zu vernehmen; sie klang jedoch so schwach, dass er sich fragte, ob er sich dies nur einbildete. Er rief also erneut, und es schien ihm, als käme die Antwort der Mestizin aus einem der Zimmer.
Er rannte den Gang entlang, riss eine Tür nach der anderen auf und blickte hinein. Als er gerade aus einem der Zimmer wieder herauskam, stieß er unvermittelt mit jemandem zusammen.
Es war Carvajal. Mit seinem rußgeschwärzten Gesicht und den roten Augen, in denen sich die Flammen spiegelten, wirkte er noch bedrohlicher.
Das Feuer drang nun züngelnd über den Treppenschacht zu ihnen vor.
»Wo ist Umina?«, stieß Sebastián hervor.
Carvajal antwortete nicht. Er hatte seinen Degen gezückt und griff ihn nun mit der Wut eines Stiers an, sodass Sebastián nur zurückweichen konnte. Bei seinem Konterangriff suchte er das Temperament des Gegners zu erforschen. Er musste Ruhe bewahren, auch wenn er dem mutmaßlichen Mörder seines Vaters und seines Onkels gegenüberstand. Er durfte sich nicht von seinem Bedürfnis nach Rache hinreißen lassen, schließlich stand Uminas Leben auf dem Spiel. Und auch das seine, denn eines war sicher: Carvajal war ein hervorragender Fechter und befand sich obendrein auf vertrautem Terrain. Sicher wollte er ihn am Treppenschacht in die Enge treiben und ihn dann mit einem geschickten Hieb hinunter in die Flammen stürzen.
|320| Dies hätte er wohl auch geschafft, hätten sie nicht über ihren Köpfen plötzlich einen Knall vernommen, der sogar das Knistern der Flammen übertönte. Kurz darauf ging ein Kristallregen auf sie nieder. Das Oberlicht in der Mitte des Daches war geborsten.
Sebastián spürte nur ein Brennen an der Hand, in der er das Schwert hielt, doch Carvajal hatte es schlimmer getroffen, denn er hatte einen Augenblick lang das Gesicht erhoben. Das Blut, das ihm nun über das zerschnittene Gesicht lief, schien ihn aber nur noch mehr in Rage zu bringen. Erneut stürzte er sich auf Sebastián.
»Wo ist Umina?«, brüllte der Ingenieur ein weiteres Mal.
»Ich würde mich an deiner Stelle um mich selbst kümmern, denn hier kommst du nicht mehr lebend heraus. Für sie sorge ich.«
Carvajal versuchte, ihn zu reizen, da er Sebastiáns Gefühle für Umina spürte, und so seinen Schwachpunkt herauszufinden, was ihm auch gelang: Dieser achtete nämlich nicht nur auf den Kampf, sondern versuchte gleichzeitig, zu Umina zu gelangen. Ihre Schreie waren deutlicher zu vernehmen, je weiter sie sich dem hintersten Zimmer näherten, wohin die Flammen sie getrieben hatten. Durch das geborstene
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