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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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die Gefahr eines Sturzes in sich barg.
    Als sie so dicht gedrängt in das Herz jenes Labyrinths vordrangen, das die Achse dieser Spirale bildete, wurde ihnen klar, dass das erschreckende Geräusch von dort kam, wobei die Tonlage sich durch die über den Irrgarten hinwegfegenden Luftströme veränderte. Allmählich ließ der Wind jedoch nach, und in der Höhe war ein schwaches Licht zu erahnen.
    »Das ist phantastisch!«, rief Chimpu aus. »Wir befinden uns nun im Schlund des großen Pumas. Diese Luftströme und die dadurch entstehenden Geräusche müssen jeden erschrecken, der hier hereinwill.«
    Als das Licht stärker wurde, konnte Sebastián erkennen, wie sorgsam die Schächte konstruiert waren. Sie zogen die Luft in große, sich nach unten verjüngende Stollen, wodurch diese beschleunigt wurde und je nach Größe der Stollenöffnung in verschiedenartige Schwingungen versetzt wurde. Diese Geräusche, in Verbindung mit der vollkommenen Dunkelheit, ließ die Eindringlinge jeglichen Sinn für die Wirklichkeit verlieren und lieferte sie ihren schlimmsten Ängsten aus.
    Der Ingenieur hielt inne, um Kraft zu schöpfen.
    »Wie haben die Inkas sich hier nur zurechtgefunden?«, fragte er den
quipucamayo
.
    »Angeblich mithilfe des Punchao, der sich im Coricancha befand. Am Tage der Juni-Sonnwende fiel die Sonne auf die goldene Sonnenscheibe. Ihre Strahlen wurden mittels mehrerer Konkavspiegel gebündelt, die, über die Stollen verteilt, so fein aufeinander abgestimmt waren, dass das eingefangene Licht ihnen den Weg durch das Labyrinth wies.«
    Als sie den letzten Aufstieg in Angriff nahmen, der sie endlich ans Tageslicht bringen würde, hielt Sebastián erneut an.
    »Einen Augenblick«, bat er. »Was erwartet uns dort oben?«
    »Mit ein wenig Glück die Festung Sacsahuamán«, antwortete Chimpu.

|376| Sternenwasser
    S ie beschlossen, dass Sebastián und Qaytu gemeinsam ins Freie klettern sollten. Als sie fast oben waren und hochblickten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, dass die Mündung des Kanals, durch die das Sonnenlicht hereinfiel, dem Rand eines Brunnens glich.
    Kaum draußen, fanden sie sich im Zentrum eines merkwürdigen Steinkreises wieder, der seinerseits von drei niedrigen, konzentrisch angelegten Mauerkreisen umgeben war, die wiederum von zwölf strahlenförmig verlaufenden Mauern durchschnitten wurden.
    »Wo sind wir?«, fragte der Ingenieur den Maultiertreiber, der aber nur die Schultern zucken konnte.
    Der Größe des Terrains nach musste es die Ruine der Festung Sacsahuamán sein, der Kopf jenes springenden Pumas, der die Stadt im Nordwesten abschloss. Und gemäß diesem Sinnbild entsprach das Loch, durch das sie herausgekommen waren, dem wachsamen Auge des Tieres.
    Als sie auf die Stadt zu ihren Füßen blickten, nahmen sie an den Stadttoren ein großes Truppenaufgebot wahr. Die Hinrichtung der Rebellen rückte näher, und die Kontrollen schienen noch einmal verschärft worden zu sein. Carvajals und Montillas Lager neben dem Kloster Santo Domingo war nicht zu erkennen, doch hatten diese bestimmt schon erfahren, was in der Gruft passiert war, und suchten sie.
    Nachdem sie Umina und Chimpu aus der Öffnung herausgeholfen hatten, untersuchte der
quipucamayo
das Bauwerk.
    |377| »Es scheinen die Grundmauern der Zitadelle zu sein«, vermutete Sebastián.
    »Ja, ich glaube, es sind die des Festungsturms von Muyumarca«, sagte Umina.
    »Das hier sind weder die Grundmauern der Zitadelle noch gehören sie zu irgendeinem Festungsturm«, erwiderte der Alte.
    »Und was ist es dann?«, wollte Sebastián wissen.
    »Die Lösung Ihrer Probleme«, antwortete Chimpu schmunzelnd. »Ich kenne nur die
huacas
in der Gegend um Cuzco, die Marksteine und Erhebungen bis zu dem Horizont, den wir von dieser Anhöhe aus sehen. Erinnern Sie sich, dass Sie mich fragten, wie man die Linien der
ceques
über die Berge rund um diese Stadt hinaus verlängert?«
    »Ja, mithilfe der Sterne, haben Sie mir geantwortet. Um das Geheimnis des roten Quipus zu ergründen, müssten wir auf dasselbe Messsystem zurückgreifen, das die Inkas verwendeten, um es zu knüpfen.«
    »Richtig. Und genau das haben wir gefunden. Das hier ist eine Sternwarte. Die drei Kreise um die Öffnung, aus der wir gestiegen sind,und die zwölf sie durchschneidenden Mauern sind Teil davon: Wir stehen mitten in einer riesigen Sonnenuhr. Damit wurden die Jahreszeiten, die Arbeiten in der Landwirtschaft und die großen Feste bestimmt. Das größte, das Inti-Raymi-Fest,

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