Quipu
hat unsere Ländereien in Brand gesteckt!«
»Und eure Leute? Haben sie keinen Widerstand geleistet?«
»Sie haben es versucht, aber jemand hat ihm das Tor geöffnet.«
»Und wer?«
»Der einäugige Alte, den wir bei den Ruinen getroffen haben.«
»Dieser Verrückte!«, rief Sebastián aus.
»Das war nicht das Einzige, was er getan hat. Auf der Hazienda hat Carvajal nach uns gefragt. Yarpay behauptete, wir seien nicht vorbeigekommen. Aber der alte Indio hat die Sache richtiggestellt und ihm außerdem erzählt, dass wir nach Ollantaytambo unterwegs seien. Daraufhin haben Carvajals Männer den Verwalter niedergeschlagen.«
»Sie haben ihn getötet?«
»Nein. Dazu gab es zu viele Zeugen, die konnten sie nicht alle umbringen. Aber Yarpay wird nie wieder alleine zurechtkommen. Sie haben ihm sämtliche Knochen gebrochen …«
|408| »Zumindest wird man diesen Schurken jetzt wegen Brandstiftung verklagen können.«
»Auch das nicht. Es war der Verrückte. Als der ihm erzählte, dass wir die Nacht miteinander verbracht haben, geriet Carvajal völlig außer sich und hieß den Einäugigen mein Bett anzünden. Sie machten sich erst aus dem Staub, als alle Gebäude ringsum Feuer gefangen hatten.«
»Das ist die Rache für das Abfackeln seiner Manufaktur.«
»Wenn meine arme Mutter das erfährt! Das wird sie nicht überleben.«
In diesem Augenblick kam der
quipucamayo
auf sie zugestürmt.
»Männer … bewaffnete Männer! Unten im Tal … Sie kommen direkt auf das Dorf zu.«
Sebastián lief zu einem der Wachtürme, von dem aus die ganze Flussaue zu überblicken war.
»Ich habe Carvajal erkannt«, sagte er atemlos, kaum war er wieder zurück. »Montilla kommt bestimmt gleich hinterher. Er wird mit der Nachhut den Weg sichern … Carvajal spricht gerade mit diesem Pfarrer, der uns gestern Abend gedroht hat. Und der hat in unsere Richtung gezeigt.«
»Wir müssen sofort aufbrechen«, erklärte Umina und wandte sich an den
quipucamayo
. »Gibt es noch einen anderen Weg aus dem Dorf hinaus?«
»Ja, den nach Chillca. Er führt entlang dem Urubamba.«
»Wir können aber nicht mehr durch das Urubamba-Tal reisen, weil wir dort sofort entdeckt würden. Wir wären eine leichte Beute«, wandte Umina ein.
»Ihr müsst das Tal nur kreuzen, wenn ihr hinter Chillca hinabsteigt«, versicherte Sinchi. »Danach reitet ihr auf einem alten Inkapfad weiter, der am Silque entlangführt und diesen Fluss mit dem Cusichaca und dem Pacamayo verbindet.«
»Meinst du, wir finden das?«, fragte die junge Frau Qaytu.
Der Maultiertreiber wiegte nachdenklich den Kopf. Er wirkte nicht sonderlich überzeugt, wusste er doch, dass sie über diesen sehr viel steileren Weg zwar die dort ansässigen Indios und |409| vielleicht auch die eine oder andere Militärkontrolle umgehen konnten, dafür aber unliebsame Begegnungen mit Schmugglern oder
huaca-
Plünderern zu fürchten hatten.
»Es ist ein guter Pfad«, beharrte Sinchi. »Und er führt geradewegs zum Nest des Kondors. Fragt nach
Cuntur Guachana.
«
Den ersten Teil der Strecke, die hoch über dem Ufer des Urubamba nach Chillca verlief, legten sie ohne jegliche Zwischenfälle zurück. Dort stiegen sie, wie Sinchi ihnen erklärt hatte, ins Tal hinunter und überquerten den Fluss, um an dessen Ufer bis zu jener Stelle zu gelangen, wo der Silque einmündete. Je weiter sie den Pfad entlang seinem Flussbett hochstiegen, umso einsamer wurde die Gegend. Andenadler und Wanderfalken kreisten in der Luft. Die Stille wurde lediglich vom Zwitschern der Amseln durchbrochen, die im Wasserlauf von Stein zu Stein hüpften, um dort nach Würmern zu picken, und ein paar Enten, die sich ins Wasser stürzten, sobald sie das Klappern der Hufe ihrer Reittiere vernahmen.
Nachdem sie einen steilen Pass bezwungen hatten, machten sie sich auf der anderen Seite wieder an den Abstieg. Der Nebel wurde dichter, und am Wegesrand bot sich nun die üppige Vegetation des Urwaldausläufers dar. Riesige Farne wechselten mit Bambusfeldern ab, mit Moos und Schlingpflanzen bewachsene Bäume, die zudem mit Bromelien und purpurnen Orchideen übersät waren. Kolibris und Gebirgstukane flatterten in diesem Dickicht umher, auf der Suche nach Waldfrüchten und reifen Passionsblumen.
Dieser Abschnitt des Inkapfades hatte viel von einem Pilgerweg. Dennoch war Sebastián nicht auf das vorbereitet, was sie erwartete, als sie schließlich um die letzte Wegbiegung kamen. Gänzlich unerwartet tauchte vor ihnen einer jener
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