Quipu
Haar: Als hätte sie es sich zur Aufgabe gemacht, dem gewebten Stück ihr ureigenes Gepräge zu verleihen. Es wirkt wie eine Initiation.« Er drehte sich wieder zu Frasquita um. »Warum hat sie es dir anvertraut?«
»Das sagte ich doch bereits. Aus demselben Grund, aus dem sie auch euer Wappen entfernen ließ: Sie fürchtete, es könnte jemanden auf eine falsche Spur bringen.«
»Welche Rolle spielen Knoten denn bei den Freimaurerinnen?«
»Sie stehen für das Festhalten an der Tradition. Beginnt man eine Webarbeit, so ist der erste Knoten für den Stoff so etwas wie der Grundstein zu einem Gebäude. Im Gegensatz zu deinem Vater stand deine Mutter mit beiden Beinen fest auf der Erde. Sie sagte immer, dass wir Frauen wieder verweben, was die Männer vorher zerlegen.«
Frasquita verstummte, und ein betretenes Schweigen breitete sich aus. Dann begann sie zu sprechen, stockend und oftmals nur in Andeutungen, und dennoch dämmerte es ihrem jungen Hausfreund, was für ein Betrug das Leben für die Frauen war. Kaum den Kinderschuhen entwachsen, schnürte man sie schon in Mieder und Fischbeinkorsette. Darauf folgten Komplimente von Karosse zu Karosse während der Spazierfahrt auf dem Paseo de Prado, wo sie in ihren Kutschen ausgestellt wurden wie Ware im |82| Schaufenster, ein paar Schmeicheleien und Ständchen unter dem Balkon, bis sie mitsamt Mitgift an den Mann gebracht waren. Den Launen des Gatten ausgeliefert, hingen sie einsam ihrer Schönheit nach, die immer mehr verwelkte, je mehr Kinder sie gebaren, bis sie schließlich endgültig abgeschrieben waren. Und das war noch nicht das Schlimmste, viel schlimmer war noch dieses lächerliche Bestreben, standesgemäße Empfänge und große Gesellschaften zu geben, die teuflischsten Kontertänze zu erlernen, den
caracol
, den
molinillo
, Tänze, die dafür gemacht waren, junge Körper zur Schau zu stellen.
»Zum Glück kamst du, Sebastián. Dir verdanke ich meine zweite Jugend. Mir sind die Gecken zuwider, die nach französischem Parfum stinken, diese albernen Fatzkes, die lediglich eine gute Figur abgeben und die Ballsäle beleben. Du warst so ungeheuer aufmerksam. Endlich hat sich jemand um meine Bedürfnisse gekümmert. Mir reicht ein höflicher Kavalier, der mir beim Einsteigen in die Kutsche behilflich ist, mich bei meinen Einkäufen begleitet und sagt, ob mir ein Haarband oder eine Frisur steht, und das mit einer Geduld, die kein Ehemann aufbringt, selbst wenn er seine Frau mit einer Dirne betrügt; erst recht nicht Onofre, der immer bis spät in die Nacht arbeitet.«
All dies fand nun ein Ende. Fortan würde sie nur noch die Dienstboten schelten, den Pagen ein halbes Dutzend sinnlose Besorgungen machen lassen und mit ihren Freundinnen Mensch-ärgere-dich-nicht spielen können. Allenfalls blieben noch die Oratorien in der Fastenzeit, die wohltätige Verteilung abgelegter Roben an die Armen, die Aufführung einer Oper oder Zarzuela und gelegentlich eine Seiltanz- oder chinesische Schattentheatervorstellung … Die ganze Öde, die der junge Ingenieur an ihrer Seite gemildert hatte, würde nun mit grausamer Wucht wieder über sie hereinbrechen, fortan würde sie in diesem Zimmer strickend und klöppelnd ihre Stunden verbringen, für den Rest ihres Lebens.
»Ich komme langsam in das Alter, in dem wir Frauen unsichtbar werden, ihr Männer hingegen gerade erst interessant.«
|83| Da konnte Sebastián seine Tränen nicht länger zurückhalten. Er empfand eine unendliche Zärtlichkeit und Dankbarkeit für Frasquita. Es war, als würde eine zweite Nabelschnur durchschnitten und einem Abschnitt seines Lebens ein Ende gesetzt, jene Zeit nach seinem Studium bei den Jesuiten und auf der Militärakademie, in der sie ihn gelehrt hatte, wieder Vertrauen in einen Menschen zu fassen, war er nach María Ignacias öffentlichem Selbstmord doch zu keiner seelischen Regung mehr fähig gewesen.
Frasquita hatte stumm neben ihm gesessen, aber nun konnte sie ihn keine Minute länger ansehen, ohne selbst in Tränen auszubrechen, und so erhob sie sich abrupt.
»Deine Mutter hat stets beunruhigt, dass du so impulsiv warst, wenn sie deine Hand losließ. Leb wohl, Sebastián. Und versprich mir, dass du vorsichtig bist.«
»Ich versprech’s.« Er schwieg einen Augenblick und versuchte dann, sie mit einem Scherz aufzuheitern, indem er seine Hand auf ihr Klöppelkissen legte. »Ich schwöre es bei diesem … Wie heißt das noch mal?«
Mit dem Handrücken wischte sich Frasquita ein paar
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