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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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damals noch warst, und meinte zu mir: ›Besser, du bringst es ihm bei als irgendeines dieser Luder, die sich in Madrid herumtreiben. Er soll wissen, wie gerissen Frauen sein können.‹ Ich habe mein Möglichstes getan. Zumindest kennst du nun unsere Tricks.«
    Sebastián wollte schon etwas erwidern, doch Frasquita legte nur ihren Zeigefinger auf den Mund und drückte ihm einen Wollstrang in die Hand.
    »Hier, hilf mir, den aufzuwickeln.« Ein flüchtiges Lächeln zeigte sich jetzt auf ihrem Gesicht. »Kannst du dich noch daran erinnern, wie du als kleiner Junge mit deiner Mutter ab und zu Musik gemacht hast? Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, dich ihren Freundinnen vorzustellen, und hat dich auf ihrem geliebten englischen Klavichord begleitet. Es war sehr komisch, dich mit der Violine zu sehen, die fast größer war als du. Aber du hast sehr gut gespielt.«
    »Warum erzählst du mir das?«
    »Weil du wissen solltest, dass ihr literarischer Salon zum einen dazu diente, der gesellschaftlichen Ächtung deines Vaters entgegenzuwirken, zum anderen, um das zu finanzieren, was ihr wirklich am Herzen lag: Deine Mutter war Schirmherrin einer der Schulen, in denen jungen Mädchen das Nähen, Sticken und Weben beigebracht wurde, und unterstützte auch die Wohltätigkeitseinrichtung
Montepío de Hilazas
, wo diese Frauen danach arbeiten konnten. Eine der Schülerinnen war gar so fleißig, dass sie heute der Tuchmanufaktur und Seilerei auf euren andalusischen Ländereien vorsteht. Lucía ist sehr aufgeweckt und grundanständig.« Frasquitas Augen leuchteten kurz auf, doch gleich darauf |80| verdüsterte sich ihre Miene. »Diese wohltätige Arbeit war im Übrigen einer der Anklagepunkte, die die Montillas vorbrachten, damit deine Mutter von der Armada keine weiteren Aufträge erhielt.«
    »Das verstehe ich nicht. Was willst du damit sagen?«
    »Sie beschuldigten sie, dem weiblichen Zweig der Freimaurer anzugehören, von denen viele mit Stoffen arbeiten, so, wie die männlichen Mitglieder oft im Baugewerbe tätig sind. Dem war aber nicht so: Die Tuchmanufaktur war für sie nur die einzige Möglichkeit, in das Geschäft mit den Seilen einzusteigen. Die Anschuldigung veranlasste sie jedenfalls dazu, das Wappen von der Fassade eures Palais zu entfernen.«
    »Warum?«
    »Sie befürchtete, jemand sehe in dem seltsamen Knoten mit den vier Schlaufen den Beweis für ihre Mitgliedschaft in der Geheimloge. Aus demselben Grund hat sie mir auch das Gemälde überlassen, das hinter dir an der Wand hängt. Sie bat mich, es für dich aufzubewahren, bis du heiratest. Es sollte ihr Hochzeitsgeschenk sein.« Frasquita beugte sich vor und nahm den vierarmigen Leuchter von dem mit Intarsien verzierten kleinen Tisch. »Hier, nimm und sieh es dir an. Aber verbrenn dir nicht die Finger.«
    Sebastián drehte sich um, sodass der Lichtschein nun auf ein Ölgemälde fiel, in dessen Zentrum sich ein Festungsturm erhob. Er war einmal quer durchgeschnitten und offenbarte eine wabenförmige Struktur.
    Der Militäringenieur trat näher heran. Im obersten Zimmer saßen ein paar einheitlich gekleidete Frauen und webten an einem riesigen Handwebstuhl mit einem Faden, der aus einem großen Kessel kam, in dem ein Alchimist, ein schweres Buch in der Hand, mit einer Art Zauberstab rührte. Erstaunlich fand Sebastián vor allem, dass der so gewebte Stoff durch schmale Öffnungen in fließenden Falten zu allen Seiten des Turms hinabfiel und sich von dort in alle Richtungen ausbreitete und die Welt mit Wäldern, Bergen, Seen, Städten und Meeren bekleidete, bis er sich am Horizont verlor   …
    |81| Die jungen Weberinnen wirkten wie in Trance, nur eine schien vollkommen wachsam zu sein. Sie benutzte nicht den Faden aus dem Kessel des Alchimisten, sondern ihr eigenes Haar, so als webte sie all ihre Träume und Sehnsüchte in den Stoff mit hinein. Dann folgten Sebastiáns Augen ihrem Blick hinab zum Fuße des Turms, wo ein Troubadour mit einer Laute ihrer harrte. Das hohe Gebäude war für ihn nicht zu erklimmen, doch hatte sie dem Geliebten mit ihrem Haar eine schützende Falte im Stoff bereitet, wo er auf sie warten konnte, um dann mit ihr gemeinsam auf einem schwarzen Schiff zu fliehen, dessen Segel sich schon im Winde bauschten.
    »Was für ein merkwürdiges Bild«, murmelte Sebastián nachdenklich. »Wie aus einer Quelle wallt das Tuch aus den Händen dieser Mädchen und wird zu einem die ganze Erde bedeckenden Mantel. Und dann diese junge Frau mit ihrem

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