Quipu
reagierte blitzschnell: Mit einem gezielten Hieb rammte er dem Angreifer ein spitzes Stemmeisen, das er aus der Werkstatt des Zimmermanns entwendet hatte, in den linken Arm. Mit einem unterdrückten Schrei verlor dieser das Gleichgewicht, sodass er seitlich gegen die Wand knallte, rappelte sich jedoch sogleich wieder auf.
Sebastián schwang sich aus der Hängematte. Sein Angreifer hatte aber bereits die offenstehende Luke neben der Kabine des zweiten Maats erreicht, durch die er gekommen war, kletterte rasch nach unten und verriegelte die Luke.
Verdammt, das war gut geplant, dachte Sebastián, während er wütend auf die Bodenklappe einschlug.
»Was ist hier los?«, fragte in diesem Augenblick einer der Matrosen schlaftrunken.
»Nichts«, brummte er. »Ich habe schlecht geträumt und bin aus der Hängematte gefallen.«
Es war besser, es dabei zu belassen. Doch zumindest trug sein Gegner nun ein Zeichen, das er nicht würde verbergen können.
Am nächsten Morgen hielt Sebastián nach einem Mann mit einer Verletzung am linken Arm Ausschau. Doch von seinem Gegner fehlte jede Spur. Sebastián fragte sich, ob er Valdés von dem Vorfall berichten sollte, verwarf dies jedoch gleich wieder, wusste er doch |184| nicht, wie der Kapitän darauf reagieren würde. Doch das Ganze nahm allmählich beunruhigende Ausmaße an.
Ich muss mit Umina reden und sie warnen, sagte er sich, mein Vater wurde getötet, nachdem er mit ihr gesprochen hatte. Und dasselbe versucht man nun mit mir. Irgendjemandem scheint es nicht zu passen, dass wir Fonsecas mit dieser Mestizin zusammenkommen. Fürchtete dieser Gegner vielleicht einen neuen Pakt zwischen den Nachfahren der königlichen Inkafamilie und den vermeintlichen Anhängern der Jesuiten? Oder ging es um die Chronik? Was enthielt sie, dass sie so viele Gefahren mit sich brachte?
Es war ziemlich unklug, die Mestizin am helllichten Vormittag, wenn an Bord am meisten Betrieb herrschte, aufzusuchen, doch blieb Sebastián keine andere Wahl. Darauf bedacht, dass keiner ihn sah, stieg er zum Unterdeck hinab, wo er in einem unbeobachteten Augenblick in die Kampfgasse schlüpfte. Dicht an die Bordwand gepresst, lief er sie bis zum Heck entlang und klopfte an die Luke, damit Qaytu ihm öffnete.
Nachdem der überraschte Indio ihn zur Kabine der jungen Frau gebracht hatte, erzählte Sebastián ihr, was vorgefallen war. Und da sie die Chronik weitergelesen hatte, erzählte sie ihm alles von der Stelle an, an der sie tags zuvor aufgehört hatten: nachdem Acuña sich in die Zisterne gestürzt hatte, um nicht von den Bienen zerstochen zu werden, und wo ihm statt der erwarteten Erleichterung nur kräftige Schläge auf den Kopf zuteil wurden.
Als der junge Dolmetscher bereits kurz vor dem Ertrinken war, spürte er, dass die Schläge plötzlich aufhörten. Er schnappte nach Luft.
Was er nun erblickte, konnte er kaum glauben: Seine Angreiferin war niemand anders als Sírax, jene junge Indiofrau, die er vor den Zudringlichkeiten der Soldaten errettet und danach überall in Cuzco gesucht hatte. Die geheime Tochter Manco Cápacs und Quispi Quipus.
Er hatte sie beim Bade überrascht. Dort sah er sie nun |185| vor sich, das wunderschöne Gesicht umrahmt von langem, schwarzem Haar, eine unwirkliche Erscheinung inmitten der Wasserdämpfe und herumschwirrenden Bienen.
In der einen Hand hielt sie einen silbergerahmten Obsidianspiegel, mit dem sie auf ihn eingeschlagen hatte, in der anderen das rote Quipu, das Diego unter seinem Hemd getragen und sie auf ihrer Flucht verloren hatte. Daran hatte sie ihn nun erkannt.
Die junge Frau wusste sofort, was zu tun war.
»Zieh deine Kleider aus!«, befahl sie. Und als sie sah, dass er zögerte, fügte sie hinzu: »Zieh sie aus und wirf sie weit weg. Sonst stechen dich die Bienen immer weiter.«
Als Diego sich seines Hemdes entledigt und es ins Gras geworfen hatte, ließ der Bienenschwarm sofort von ihm ab.
Er sah die junge Frau an, als sei er gerade Zeuge einer Hexerei geworden. Doch dann wurde er auf einmal verlegen, als ihm bewusst wurde, dass er die Intimität dieses Bades mit ihr teilte.
»Du hattest die Bienenkönigin in deinem Hemd«, sagte sie nur. »Komm, ich reibe dir die Stiche mit Lehm ein. Das lässt sie abschwellen.«
»Ich wusste nicht, dass es hier Bienen gibt …«, stammelte Diego. »Ich habe nicht gesehen, dass der Stamm ein …«, vergebens suchte der Dolmetscher nach dem richtigen Quechua-Wort, »… Bienenhaus
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