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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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entwurzelt, der nun über die Mauer ragte. Das war die Schwachstelle im Verteidigungswall, auf die er gehofft hatte. Er kletterte den Stamm nach oben, übersah darin jedoch ein Loch. Er spürte etwas Klebriges. Es war Honig. Als er erkannte, was passiert war, summten bereits wild gewordene Bienen um ihn herum. Schnell kletterte er weiter.
    Oben auf der Mauer sah er zu seiner Erleichterung, dass unter ihm ein paar Büsche wuchsen, die seinen Sprung abfedern würden. Er kam heil unten an. Doch die Bienen, die sich in seiner Kleidung verfangen hatten, griffen ihn weiterhin erbarmungslos an, sodass er sich schnell aufrichtete und wild um sich schlagend zu einem dampfenden Wasserbecken rannte, das er von oben erblickt hatte. Ohne zu überlegen, stürzte er sich ins Wasser.
    Wider Erwarten griffen die Bienen ihn weiterhin an. Schlimmer noch: Sie fanden Unterstützung. Denn kaum dass er seinen Kopf aus dem Wasser reckte, drosch jemand erbarmungslos auf ihn ein. Wenn nicht bald etwas passierte, würde er in dem dampfenden Wasser ertrinken   …
     
    Sebastián de Fonseca erschrak, als er die Glocke hörte, die zum Abendessen läutete.
    »Man darf nicht merken, dass ich hier war«, sagte er zu Umina und klappte die Chronik zu, um sie wieder in dem Wachstuchbeutel unter seinem Wams zu verstauen.
    |181| »Ja, Sie sollten besser gehen. Aber die bleibt hier«, sagte die Mestizin und zeigte auf die Chronik. »Oder haben Sie unsere Abmachung vergessen?«
    Das kam fast einer Erpressung gleich. Doch sie hatte recht. Die Chronik war das Pfand dafür, dass sie ihn nicht verriet. Wortlos reichte er sie ihr und wandte sich schon zum Gehen, als er hinter sich noch einmal ihre Stimme vernahm.
    »Für die Fortsetzung brauchen Sie nur wiederzukommen. Sie kennen ja jetzt den Weg.«
     
    Auf dem Rückweg durch die Kampfgasse vernahm Sebastián das immer lauter werdende Geschrei der Matrosen, die das Essen zu ihrer jeweiligen Backschaft schafften. Als er an der Tür am Bug angelangt war, fragte er sich, ob es wohl klug war, nun so dicht neben der Speisekammer aufzutauchen. Nach kurzem Überlegen öffnete er die Tür einen Spaltbreit und ging in die Hocke, um vorsichtig die Lage zu erkunden.
    Ganz in der Nähe standen die Männer nach den Rationen an, die der Speisemeister austeilte. So einfach kam er also nicht heraus. Aber wenn er drinbliebe, würde man ihn vermissen. Wie also konnte er sich unbemerkt zu ihnen gesellen?
    Während er noch darüber grübelte, sah er auf einmal, dass sich ein vertrautes Gesicht in die Schlange einreihte. Hermógenes. In ein paar Minuten würde er das Holzfass erreichen, wo der Schiffszwieback verteilt wurde. Es befand sich in der Ecke, die der Tür zur Kampfgasse am nächsten lag.
    Als der Zimmermann in Reichweite war,streckte er seine Hand aus und zog an dessen Holzbein.
    Hermógenes erschrak, doch als er Sebastián erblickte, erfasste er augenblicklich die Situation. Er ließ seinen Zwieback fallen und bückte sich, um ihn wieder aufzuheben.
    »Ich schicke Ihnen Miguelito«, flüsterte er.
    Es dauerte noch eine gute Weile, bis die Luft rein war. Gemeinsam mit Miguel stieg Sebastián dann hoch zur Kombüse, um das Essen für die Backschaft zu holen.
    |182| Als sie damit an ihrem Tisch ankamen, zwinkerte der Zimmermann ihnen zu. Das war knapp!, dachte Sebastián.
    Doch seine Erleichterung wandelte sich in Besorgnis, als er sich nach dem Essen in seiner Hängematte schlafen legen wollte. Beim Überprüfen des Seesacks stellte er nämlich fest, dass jemand in seinen Sachen gewühlt hatte: Der Knoten, mit dem der Seesack verschlossen war, war nicht der, den Hermógenes ihm gezeigt hatte, sondern ein einfacher, glatter Knoten. Umina hatte recht, sagte er sich. Es ist besser, wenn sie die Chronik aufbewahrt. Hätte ich sie hiergelassen, wäre sie jetzt bereits gestohlen worden.
     
    In dieser Nacht schlich jemand zwischen den Hängematten umher. Es war kein Matrose, der zum Abort musste. Gebückt huschte er zum hinteren Teil des Decks, wo der Ingenieur schlief. Im schwachen Schein der Laterne konnte man erkennen, dass er einen dünnen Strick zwischen den Zähnen hielt. Der Mann näherte sich äußerst vorsichtig, um ja niemanden zu wecken. Als er bei Sebastián angelangt war, richtete er sich auf.

|183| Sackgasse
    W egen der drückenden Hitze im Kanonendeck hatte Sebastián sein Hemd ausgezogen. Der Mann spannte den Strick zwischen den Händen und beugte sich über ihn.
    Doch der Ingenieur schlief nicht und

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